How to handle a novel

Dies hier hat mir gestern eine angehende Kollegin unter einen Beitrag geschrieben – das ist so schön, das muss ich mir stehlen dürfen:

“Aber gleichzeitig, und das ist viel wichtiger, habe ich hier durch deine Leidenschaft für deine Geschichten gerade enorm viel Motivation gewonnen, mich trotz allem durch die letzten Schreibhürden zu kämpfen – weil er es verdient hat, und weil ich ihn liebe, auch wenn ich manchmal so unzufrieden bin mit dem, was mein Geschreibsel aus der Geschichte macht. Aber ohne mich gäbe es sie gar nicht, genauso wie es ohne dich keine Hatti und keinen Ararat gäbe. (…) Und ich geh jetzt mal sofort zu meinem kleinen, ungeschliffenen, verdreckten und trüben Rohdiamanten zurück und versuche, so viel davon zum Funkeln zu bringen, wie es mir nur möglich ist.”

Das gehört bar jeden Zweifels in die Kategorie: Auf welcher Leitung sitzt eigentlich mein schönster Körperteil, dass mein Kopp auf sowas nicht kommt?

Ich habe mir in all den Jahren so viel Verzweiflung, so viel Resignation, so viel Hilflosigkeit über „was macht mein blödes Geschreibsel aus der grandiosen Geschichte?“ geleistet, dass ich das darüber vergessen habe: Ich mag ja der sein, der ihr da und dort eine Ecke abbricht, ihr Risse beibringt und sie in den falschen Kasten ordnet, aber ich bin ihr Archäologe, ich habe sie aus der Erde gescharrt. So wie Hugo Winckler die Tafeln von Hattuša. Ohne mich würde sie zu der vielfach größeren Zahl der Tafeln gehören, die nie einer ausgräbt, die verborgen bleiben.

In den letzten Wochen, als ich in meinem Sumpf aus Kitsch-Cover, verzögerten Vertragsabschlüssen, Misserfolgen, Angst um Hatti, und vor allem einem Text, den ich nicht schreiben wollte, versank, hatte ich des Öfteren den Wunsch, Hatti und Ararat zu verschenken. An einen, der’s besser macht. Einen, der die zwei nicht mit Matsch beschmiert, bis sie selbst vor Kollegen unsichtbar werden, sondern der sie strahlend poliert. Einen, der sie nicht in den Sand setzt.

Aber genau da gehören sie doch hin, oder? In den Sand. In meinen Sand. Ich glaube, „Als wir unsterblich waren“ bringt mir das gerade bei: Es ist ein ganz und gar unglaubliches Gefühl, ein Buch geschrieben zu haben, über das sich lauter wildfremde Leute freuen. Und zu wissen: Ja, das ist mein Buch. Gerade mit seinen Schwächen, über die ich mir diesmal nicht die Haare ausreiße, sondern grinse. Es ist das Buch, das nur ich hätte schreiben können, weil ich diesem wie Hatti und Ararat etwas zu geben habe, das der, der bessere Bücher schreibt, für die drei nicht hat:

Ich bin ja staatlich geprüfter Musical-Hasser, aber das borg‘ ich mir trotzdem aus „Camelot“:

“The way to handle a novel
Is to love him…simply love him…
Merely love him …love him …love him.”

Dem “trüben Rohdiamanten“ der Kollegin wünsche ich alles Gute auf dem Weg!

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Wie ein – mein – Roman entsteht

Das Stadium, in dem Ararat und ich stecken, ist das Flirtstadium. Da geht noch alles und nichts muss. Da möchte man unentwegt seinen Kram hinwerfen und mal rasch hinter dem nächsten Busch verschwinden. Da fühlt sich noch jedes Aufwachen an, als könnte der Tag die Welt aus den Angeln heben und sie in eine funkelnde, brandneue Bahn schleudern. Ein so langes Flirtstadium wie mit Ararat hatte ich noch nie. Ararat, langbeinig, schwarzäugig, ist zum Verführer geboren, und vielleicht flirtet er ja noch ab und an weiter mit mir, auch wenn die Phase irgendwann unweigerlich vorbei ist – so wie der Mai, von dem jeder Frühling bekanntlich nur einen hat.

Die Hatti hat das gemacht. Mit mir weitergeflirtet, mir ins Ohr geflüstert, sich mir um den Hals geringelt, sooft ich im Ernst-des-Lebens-Stadium dachte, ich kann nicht mehr weiter. Vielleicht habe ich das deshalb bei der Hatti kaum je gedacht. Eigentlich nur einmal. Und das war der Augenblick, in dem die Hatti mir gezeigt hat, wer sie ist.

Normalerweise sollte der Autor das wohl während des (langen) Vorbereitungsstadiums wissen, in dem das kreuz und quer zusammengeflirtete Material ordentlich (man kann’s auch übertreiben …) in Listen eingezwängt, sortiert und zu Szenenplänen und Personenpark-Inventaren verwurschtet wird. In dem Stadium wird auch die Recherche vervollständigt, was unzählige Gespräche mit unendlich interessanten Menschen beinhaltet, die wie beim Adventskalender dem Roman eine Tür nach der anderen aufstoßen. Dabei lerne ich ihn kennen. So wie zwei sich kennenlernen, die nach einem durchflirteten Frühling noch immer verrückt genug sind, in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen. Wenn dieses Stadium abgeschlossen ist und die ernsthafte Schreiberei, dieses Rien-ne-va-plus-Moment, vor dem ich mich immer grusele, anfängt, ist für gewöhnlich alles „in trockenen Tüchern“ und rundum einzementiert. Dann gibt’s am Gerüst nichts Wesentliches mehr zu rütteln.

Bei der Hatti war’s anders. Die hat mittendrin, nach zwei Dritteln angehäuftem Text, ohne Wimpernzucken zu mir: „Halt mal“ gesagt. „Das, was du da machst, bin übrigens nicht ich.“

„Mir doch egal“, bin ich ihr über den Mund gefahren, „du musst jetzt fertigwerden und basta.“

„As you like it“, hat die Hatti gesagt und mir schon die Hälfte ihres schönen Rückens zugedreht. „Aber wenn du mich küssen wolltest, wo ich wirklich schön bin, müsstest du doch nochmal dein Lebendgewicht aus diesem Stuhl stemmen.“

Sie war grundsätzlich unwiderstehlich, wenn sie so gesäuselt hat, meine Hatti. Also habe ich mich in die Höhe gehievt, und dann haben wir miteinander eine Wahnsinnstat begangen, die Hatti und ich. Und uns gefühlt wie als Kinder beim Grand Coup aller Klingelstreiche.

Aber bei der Hatti war sowieso alles anders. Schön war’s. Sogar die Schreibphase. Es war alles meins.

Was jetzt kommt, ist nicht mehr meins, und das ist gut so. Denn ein Roman entsteht – Gott sei Dank – nicht nur durch das, was ein einzelner sich in seinem Kämmerlein zurechtbastelt. Die Experten und Testleser marschieren auf, wie eben eines Tages die Welt in ein Liebesnest drängt. Nicht lange darauf zieht er mit Sack und Pack aus und hinterlässt Platz für einen neuen. Und daneben eine schmale, tiefe Kerbe, in der steht: „Hattuša. 2013. Hier war ich und hierher kommt keiner.“ In Keilschrift.

Im nächsten Stadium ist der Roman nicht mehr mein, sondern findet seinen Meister, der ihm das Gefieder stutzt und striegelt. Aber irgendwann kommt er noch einmal zu Hause vorbei, und der verlassene Autor darf ein letztes Mal drüberstreichen. Davor fürcht‘ ich mich mächtig. Aber ich freu mich auch ganz unbeschreiblich.

Ich bin so aufgeregt, als stünde wahrhaftig demnächst mein verlorener Liebster vor der Tür: Nächste Woche kommt meine Hatti aus dem Lektorat!

Never say never

Guten Morgen im Mai. Hier spricht übrigens die Frau, die noch nie – auch nicht zur Teenie-Zeit der Baum-und-Strauch-Verse – ein Gedicht geschrieben hat.   Hier spricht auch die, die auf Englisch nie etwas anderes als Fachtexte – und höchstens mal ein bisschen was Journalistisches – schreibt.   Vor allem aber spricht hier die, die noch vor einem halben Jahr verkündet hat, sie würde nie – in Worten: NIE – und nicht für den Preis ihres Lebens Kinderfotos ins Internet stellen.   So viel zu nie: Image Das ist ja kein Kinderfoto, gell?   Das sind zwei Dichter.   Genauer gesagt sind das mein jüngster Sohn Raul sowie der grandiose Adnan al-Sayegh, die im Rahmen der Lesung „Writing Mesopotamia“ abwechselnd auf Arabisch und Englisch ein Gedicht lesen, das mein Sohn geschrieben hat. Die Lesung fand statt am Sonntag, dem 27. April, im schönsten Museum der Welt und wurde veranstaltet von Jenny Lewis, Adnan al-Sayegh und dem Department of Middle East. Das Gedicht meines Sohnes heißt „When they believed in us“ und ist dem mesopotamischen Gott Enlil in den Mund gelegt. Es gefiel Adnan so gut, dass er es übersetzen wollte. Da eine Oud-Spielerin die Lesung musikalisch begleitete, wurde darum gebeten, zwischen den einzelnen Gedichten nicht zu klatschen. Bei der Lesung von Adnan und meinem Sohn (dem einzigen nicht volljährigen Dichter) wurde dies nicht eingehalten. Die Zuhörer sprangen einfach auf und klatschten los.   Sollte sich dieser Blogbeitrag nach dem bis zum Überdruss bekannten Gesäusel eines vor Stolz platzenden Exemplars der Gattung Mutti anhören, sei das auf leichter Schulter hingenommen. Es fiele mir äußerst schwer, in Worte zu fassen, wie buchstäblich atemberaubend es sich anfühlte, meinen Sohn und Adnan sein Lied des Enlil lesen zu hören. Nicht weniger atemberaubend war es, Adnan und Jenny ihre eigenen Werke lesen zu hören – allen voran Auszüge aus Adnans fünfhundertseitigem Versepos „Anthem to Uruk“, von dem ich nur hoffen kann, dass sich eine vollständige Übersetzung irgendwann finanzieren lässt. Sehr weit über „atemberaubend“ hinaus ging das Privileg, Jenny und Adnan zu erleben, die auf Arabisch und Englisch aus der Zwölftafel-Version des Gilgamesch-Epos lasen. Ich bin diesem Epos verfallen, solange ich denken kann, ich sammle Versionen und habe mich im letzten Jahr noch einmal heftig und innig in es verliebt. Ich habe etwas Vergleichbares nie (sic) erlebt und ich werde nie (sic) wieder Gilgamesch-Text anschauen können, ohne Jenny und Adnan zu hören, die „Lamentation for Enkidu“ lesen, für mich das schönste Liebesgedicht der Weltgeschichte.   Diese Lesung kam zustande im Rahmen des Workshops „Writing Mesopotamia“, von dem ich – Pathos hin Pathos her – ein bisschen das Gefühl habe, er hätte mir in den letzten Monaten hier das Leben (zumindest aber das Selbstwertgefühl als denkender, schreibender Mensch) gerettet. Dem Talent und der charismatischen Präsenz von Jenny und Adnan beugt sich der hartleibigste Ich-kann-nicht-schreiben-Komplex. Die finale Überarbeitung von Carmens Roman „Hattuša“ und die erste Planungsphase von meinem Roman „Ararat“ haben sich vom Schwung dieses Workshops durch eine ziemliche Wüste schleppen lassen. Und nebenbei habe ich noch gemacht, was ich nie mache. Ein Gedicht geschrieben. Nee, zwei. Auf Englisch.   Wer sich für diesen Workshop interessiert, den bitte ich, sich bei mir zu melden, da wir uns derzeit darum bemühen, ihn im nächsten Frühjahr fortsetzen oder wiederholen zu können. Und wer wissen möchte, was mich daran so hinreißt, den bitte ich, Jenny Lewis und Adnan al-Sayegh zu lesen.

Meine Hattuša

Ach nee, die Hattuša von der Carmen – ach, ist mir doch egal! Unsere Hattuša hat ein Cover, und nach all der demoralisierenden Coverproblematik des Jahres 2014 möcht‘ ich meinem Schöpfer dafür danken, dass es so ein schönes ist. Schön ist daran, abgesehen davon, dass es schön ist, vor allem, dass es zur Hattuša passt. Das Fernglas, das ganz vorn drauf ist, kann mein Verlag (ach nee, der Verlag von der Carmen) gar nicht gekannt haben, aber es lag in Berlin, im Vorderasiatischen Museum, und entdeckt hab ich’s dort an dem Tag, an dem die Hattuša geboren worden ist.

 

Das mag ja Kitsch sein. Aber ist mir doch egal. Ich hab den jetzt nötig. Des weiteren gratuliere ich mir (ach nee, der Carmen), und der Hattuša zu einem Verlag, der tatsächlich den Mut aufbringt, die Worte „Hethiter“ und „Altorientalist“ sowie den sperrigen Namen „Amarna“ in einem Klappentext unterzubringen und obendrein komplett darauf verzichtet, Geheimnisse, die der Autor mühsam versteckt hat, im Voraus zu verraten. Für mich eine Seltenheit. Für zahlreiche Kollegen auch.

 

Dass es ohnehin ein Glücksfall ist, ein Buch wie meine Hattuša (ach nee, die Hattuša von der Carmen) schreiben zu dürfen, dass das Glück nachwirkt und dass wir ohne das vermutlich aus den letzten Monaten nicht ganz heil rausgekommen wären, kann auch noch mal gesagt werden. Das wiegt so viel, dass ich mich vorab beschworen habe: Wenn jetzt der Rest schief geht, schluckst du das, Alte. Und zwar mal ohne zu meckern.

 

Muss ich nun gar nicht.

 

Der Rest läuft auch noch. Die Hatti ist innen und außen die Hatti. Meins (oder das von der Carmen. Ist doch egal. Jedenfalls nichts Fremdes).

 

Und um noch etwas Arrogantes – aber nur meine Privatmeinung – anzufügen: Wenn ich einem Buch von mir (ach nee, von der Carmen) das gönne, dann der Hattuša. Und wenn ich finde, dass ein Buch von mir (ach nee, von der Carmen) das verdient hat, dann die Hattuša erst recht.

 

Ich bin gerade ganz schrecklich nah am Wasser gebaut oder auch dem Nervenzusammenbruch nahe, aber diesmal vor Erleichterung (weil ich tatsächlich den schlimmsten Fall von entfremdeter Arbeit in meiner Berufslaufbahn NICHT mit in meinen Lieblingsmonat nehme, sondern FERTIG bin) und möcht am liebsten vor Dankbarkeit Konfetti oder auch irgendwas Sinnvolles schmeißen und den Primo uomo von meiner Hattuša (ach nee, von der Hattuša von der Carmen) und von meinem Ararat (NICHT von der Carmen) erstickend fest an mich drücken. Und da das alles nicht geht (der Primo uomo von Hattuša und Ararat steht auf Noli me tangere), bedank‘ ich mich stattdessen mit einem Bild des ergriffenen Autors dort, wo der ergriffene Autor jetzt am liebsten wäre, in Armenien, vor dem Kloster Geghard, mit armenischem Osterbrot in den Armen. Küsse den Stein und er wird eine Kirche. Miss you, Hayastan.

 

Habe noch viel mehr Schönes zu erzählen, habe mich noch für viel mehr viel zu Schoenes zu bedanken, verschiebe das aber auf morgen (und als der Herrgott Mai gemacht), bevor ich hier endgültig zerfließe und die Tastatur verkleckere. Danke, toller Verlag, danke, tolle Blogleser, danke, meine Hatti (ach nee, Carmens Hatti, man, ist mir doch egal), die für mich immer noch ein tolles Buch ist, auch wenn sie von mir (ach nee, von der Carmen) ist und schon etliche Wochen vergangen sind.

 

Love,

 

Charlie (ach nee, Carmen. Ach nee, doch nicht)

Geghardbreadandcharlie

Buch-Verschenktag

Vor dem Blogschreiben habe ich mich gefürchtet. Nicht so sehr wie vor Twitter und Facebook, vor denen ich mich noch immer mit den wildesten Ausreden drücke, aber doch erheblich. Ich habe meine Parole – „Ich tue das nur für Hatti und Ararat“ – als Banner vor mir hergeschleppt und kam mir vor wie ein Held. Jetzt stelle ich höchst amüsiert fest, dass dieser Blog (dieses Blog? Ich weiß es immer noch nicht) zu den (wenigen) Dingen gehört, die ich in Yerevan vermissen werde. Weshalb ich jetzt schon beschlossen habe, von der in Stein gehauenen Regel ‚No Internet in Holy Week‘ abzuweichen und zumindest einen Wir-sind-wieder-da-Gruß zu platzieren. Das hier ist ja eigentlich gar kein Blog, oder? Es ist Ararats Progress Report.

Ararat geht’s trotz widrigster Umstände blendend, und da ich ihn in den Wochen, die noch ein bisschen widriger waren als diese, vielleicht aufgrund mangelnder Kraft in den Händen nicht mehr hätte festhalten können, möchte‘ ich mich gern bedanken. Günstig trifft sich, dass meine Freundin und Administratorin mir erzählt hat, zum Welttag des Buches würden Blogger  Bücher verschenken. Das möcht‘ ich auch machen! Lieber würde ich eine Kiste wundervoller Bücher kaufen, aber da ich auch weiterhin vergesse, mir einen Lottoschein zu besorgen, muss es leider billiger gehen, weshalb mir nur meine eigenen bleiben (was ein bisschen peinlich ist).  So here we go:

Am 2. Mai, sehr passend am Morgen nach dem Tag der Arbeit, erscheint mein neuer Roman „Als wir unsterblich waren“ unter meinem Pseudonym Charlotte Roth. Des Weiteren hat mich eine freundliche Leserin darauf aufmerksam gemacht (ich Tütli bekomme sowas ja immer nicht mit), dass im Mai außerdem die Taschenbuchausgabe meines historischen Romans „Kains Erben“ erscheint. Also habe ich zwei brandneue, druckfrische, und möchte gern je zwei davon verschenken (Nur Print! Um ebooks zu verschicken, bin ich leider zu doof, aber bis Ararat kommt, hab ich das gelernt, versprochen). Und da der ganze Aufriss hier eigentlich einem Buch (bzw. anderthalb Büchern) von der Carmen gilt, verdonnere ich die, auch noch eins rauszurücken, „Im Tal der träumenden Götter“, das andere hat sie nicht mehr.  Bedingungen gibt’s keine. Wenn jemand eins davon haben möchte, hinterlässt er bitte hier einen Comment oder schreibt mir eine Mail (charlie@charlotte-lyne.com) und lässt mich wissen, welches er gern hätte.  Nur eine Bitte hätte ich: Bücher möchten gelesen werden, deshalb bitte nur melden, wenn ihr Lust und Zeit habt, das Buch zu lesen, nicht, es unter irgendwelche ominösen Stapel zu schieben. Wenn ihr’s eurer Oma, eurem Schwippschwager, eurem Friseur schenken wollt, der’s gern lesen würde, ist das natürlich genauso gut.

Sollte es mehr Interessenten als Bücher geben (hach …), lasse ich meinen Sohn auslosen und gebe am Welttag des Buches die Sieger bekannt. Dann bitte beachten:  Bis die Bücher kommen, dauert’s noch ein bisschen, denn sie erscheinen ja erst im Mai und müssen dann zweimal mit Royal Mail (keine gute Nachricht …) hin und her. Eine Widmung reinschreiben kann ich gern, bin aber (wirklich!) nicht beleidigt, wenn ihr keine möchtet, um das Buch hinterher weiterzureichen.

Nur Lesen wäre schön. Darüber würden wir uns freuen.

Charlie&Carmen, Hatti & Ararat

Inspiration

Gestern hatte ich das unschätzbare Privileg, im Museum einen Workshop der Lyriker Jenny Lewis und Adnan al Sayegh zu erleben, die über mesopotamische Literatur sprachen. Seither sind überall in meinem Kopf kleine Steinschläge. Wir gingen dann noch hinüber in die Galerien, um uns Ashurbanipals Löwenjagd anzusehen, ich schaute eine gefühlte halbe Stunde lang einen Pfeil an, der aus dem Relief herausragte, Adnan al Sayegh las in zum Niederknien schönen Arabisch ein Gedicht vom Stehen in Malmö und Sich-Sehnen nach Mesopotamien, und das Leben war unverschämt reich und schön. Niedergekniet bin ich nicht, aber ich hatte in meiner engen Kehle einen enorm festen Klumpen.
Vermutlich einmalig in Zweitausendundvierzehn ist die Tatsache, dass ich den ganzen Abend durchgehalten habe, ohne ein einziges Mal nach innen ‚Ich bin müde‘ zu schreien. Warum ist eigentlich diese Felsspalte, die zwischen Arbeit, die man tun will, und Arbeit, die man tun muss, klafft, so unüberwindlich tief?
Müßige Frage, leider, denn natürlich habe ich auch an diesem Wochenende vergessen, einen Lottoschein zu kaufen. Mehr fasziniert mich, während mein Kopf die Bilder aus Urartu, die Bilder aus Mesopotamien, die Bilder aus dem Ausstellungskatalog ‚Entartete Kunst‘ zusammensetzt, warum da eine so tiefe Spalte klafft zwischen Romanen, die man schreiben will oder schreiben muss, und Romanen, die man einfach schreibt. Ohne zu wollen, ohne zu müssen, nur weil man der, der man ist, eben ist. Das klingt hübsch verquer, fühlt sich aber völlig geradeaus gedacht an. Mir wird glasklar, was den Unterschied zwischen Hatti und Ararat und all den anderen (die ich zum Teil mit glühender Leidenschaft schreiben wollte) ausmacht. Sie sind meine. Ich schreib sie einfach, auch wenn ich nicht schreibe, sondern durch die assyrischen Galerien spaziere und wundervolle arabische Gedichte anhöre, von denen ich kein Wort verstehe. Ich schreib sie einfach und hätte sie auch dann noch geschrieben, wenn ich meine Sprache nicht mehr verstünde oder keinen Bleistift und kein Papier mehr hätte (hab ich aber – das Museum hat mir gestern welches geschenkt, was ich kaum annehmen konnte, weil ich mir in diesem Museum sowieso immer vorkomme, als wäre ich dem Weihnachtsmann persönlich begegnet).
Ich kann mit Ararat durch die Gegend wandern und er kommt ganz allein in meinen Kopf. Swimathon mit den Kindern, laut durch die Messe lachen mit dem Enkel, steinhartes Flachbrot backen, Klaus Mann wiederlesen, armenische Lieder auf den i-Pod laden, abends Carcassonne spielen, sich über den Buchmarkt aufregen, stundenlang über Zivilisation schwätzen und sich nach Mesopotamien sehnen, das ist alles Ararat. Und das einzige Problem, das wir jetzt noch haben ist, dass auch überall da Ararat ist, wo er als einziges nicht hingehört: In meiner Arbeit …

The Swerve

Als ich gestern Nacht nach Hause kam, hat mich A, der nicht schlafen konnte, noch auf der Schwelle gefragt: Ist das der Tag, an dem das Jahr in die Wende geht?
Über das abergläubische Festklammern an Zeiteinheiten als „gut“ oder „böse“ sollten wir in unserem Alter hinaus sein, und für Himmelhochjauchzend-zu-Tode-betrübt fehlt uns in Zweitausendvierzehn die Kraft. Aber trotzdem. Ja, ich will das jetzt glauben, gestern, März siebenundzwanzig, war der Tag, an dem das Jahr in die Wende ging. Das Gefühl, einen Sieg errungen zu haben, habe ich nicht, denn ich musste gar nicht kämpfen. (Auch wenn es mich leicht schockiert hat, dass mir nicht nur die Hände, sondern sämtliche Gliedmaßen zitterten. In Dates mit dem schönen Geschlecht kenne ich mich bedeutend souveräner …) Es ging alles von allein. Du hast Glück, Hatti. Du hast ganz unverschämtes, gottverdammtes Glück, Dich betreut nämlich jemand, der Romane so gern mag wie Pferde und mit beidem ohne Zynismus umgeht. Zwar werden wir zwei in unserer Kraken-Umklammerung allmählich zum Treppenwitz, aber das steht und schmeckt uns. Und Du darfst jetzt das werden, was ich mir für Dich gewünscht habe: Nicht mehr als ein Ferner-liefen-Roman. Aber mein Ferner-liefen-Roman. Der beste, den ich (und die Carmen, ja ja) schreiben kann. (Psst, ein Cover hast Du auch schon, aber ich hab’s noch nicht gesehen, also kann ich’s Dir auch nicht beschreiben. Aber Du wirst lachen, Hatti. Ich hab überhaupt keine Angst.)
Und dann hab ich tatsächlich mich – MICH – wenn auch wie eine Hundertjährige schlotternd, sagen hören: „Ich werde diesen Roman schreiben.“ Ich habe ziemlich lange nichts mehr gesagt, das so gut getan hat. Und das Ergebnis? Wir hören jetzt mal auf, uns so aufzuregen. Wir hören jetzt mal auf, verzweifelt um uns zu schlagen. Wir verlagern unser Gewicht, geben am Zügel eine sachte Parade und lenken dieses Jahr in die Wende. Wir machen unsere Arbeit. Und dann schinden wir ein bisschen Zeit und schreiben diesen Roman.
Was für eine hinreißende Erfahrung – zitternd darauf zu warten, dass zur Antwort ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ kommt und ‚Warum denn nicht?‘ zu erhalten.
Über die andere gute Nachricht muss ich selbst hier, in meiner privaten Quasselecke, schweigen. Und das ist auch besser, die Nachricht ist nämlich so gut, dass sie mich abergläubisch macht. Also besser abwarten, bis ich sie schwarz auf weiß in den Fingern hab. Ich glaub, zum ersten Mal in Zweitausendundvierzehn habe ich fest geschlafen und kann ganz tief atmen. Das minimale Restzittern kommt nur von der Schieflage, vom Jahr, das sich in der Wende legt. In einer Woche fliegen wir nach Yerevan. Love you, Hatti. Love you, Ararat. Love you, Two-Thousand-Fourteen.

Day X

Heute ist der Tag, Ararat. Ich habe gestern im Museum Dein Exposé so sauber gemacht, wie ich konnte, und schaue es nachher noch einmal durch. Mehr kann ich nicht tun, und das macht mich gerade viel nervöser, als ich zu sein hoffte (vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass ich bis zum Abend ja noch irgendwie meine Arbeit wegschaffen muss).
Im Gedächtnis behalten möcht‘ ich aber auch, dass wir es sehr schön hatten, gestern. Und wenn man es so schön haben kann mit einem Roman, wenn man ihn wie als Siebzehnjährige an seinen Lieblingsort schleppt, um ihm in eine Kladde mit Rosetta-Stone-Muster in Erstklässler-Schrift zwölf Zeilen zu schreiben, dann scheint etwas daran richtig zu sein. Es ist schön mit Dir, Ararat. Das schönste daran ist, dass es sich so unzynisch anfühlt. So weit weg vom Buchmarkt. So nah bei uns. Ararat, born in the British Museum.
Außerdem haben wir gestern noch Fotos für Hattuša gemacht, die Carmen, die das Museum umarmt, was windig und amüsant war. Wir sind also, soweit das überhaupt möglich ist, bereit und müssen uns jetzt ein bisschen Mut machen. Wer einen Daumen frei hat, den bitten wir, ihn uns heute Abend zu drücken.
Charlie&Carmen, Hattuša&Ararat

Ende Kitsch, alles Kitsch?

Läge der Teufel im Detail, in der sprachlichen Gestaltung, wo ich ihn von je her suche, dann wäre es nicht so schwierig, ihn mit Stumpf und Stiel auszurupfen. Ich habe das jetzt bei der Twelfthnight gesehen: Die Substanz ist in Ordnung. Und stilistisch muss vor allem ausgedünnt werden, dafür könnte ich – wenn mir selbst die Fähigkeit fehlt – zur Not sogar einen Lektor nehmen. Damit habe ich nicht gesagt, eine Neigung zu stilistischen Kitsch-Entgleisungen sei unproblematisch. Das sehe ich nicht so, da ich das ja erlebe, dass meine Kitsch-Ergüsse die andere Seite einer sprachlichen Unfähigkeit ist: Dort, wo mir die Sprache splittert und entgleitet, weil ich ihr nicht gewachsen bin, muss der Kitschpott zum Überkleistern her. Das ist ein Problem und bleibt eines. Bei einem so fetten Buch wie Twelfthnight lässt es sich aber relativ leicht verringern, indem man jede Menge betroffene Szenen streicht oder erheblich verknappt, ohne dass in der Substanz etwas knirscht. Im Gegenteil.
Viel größer ist meine Angst, der Kitsch-Katalysator könnte tiefer sitzen – in der Dramaturgie. Und dass er da bei der Hatti sitzt, weiß ich, wenn ich ehrlich bin, selbst. Heute morgen beim Laufen war mir zum Haare-Ausreißen: Warum habe ich der Hatti dieses Ende geschrieben?
Ich mag solche Enden nicht. Ich habe mehreren meiner Bücher aus kommerziellen Gründen eins geschrieben, und dazu stehe ich. Materielle Zwänge sind materielle Zwänge, da lohnt kein Grübeln, nur Lottoscheinkaufen. Ich habe aber bei der Hatti gar nichts aus kommerziellen Gründen gemacht. Damit kann ich mich nicht rausreden. Ich kann auch nicht behaupten, ich hätte nicht gewusst, was ich da mache, denn dass man solchem Stoff kein solches Ende aufklatscht, habe ich eigentlich schon in Klassenstufe Elf gelernt (mindestens). Mit Kollegen diskutiert hab ich’s auch noch. Vom Aufschrei des medizinischen Berater-Teams ganz zu schweigen.
Mir ist das während des Wartens auf Nachrichten über den tragischen Flug MH 370 wiederum aufgefallen: Mit jedem Tag, der verstrich, versuchte man, mit der Himmelsmacht um ein schrumpfendes Stück Hoffnung zu feilschen: Lass das Flugzeug heil gefunden werden. Lass die Hälfte überlebt haben. Lass eine Arche mit zehn Überlebenden geborgen werden, mit fünf, mit dreien, mit einem einzigen! Dass am Ende der große schwarze Gong kommen würde, haben wir trotzdem gewusst.
Der geht nicht im Unterhaltungsroman. Und den möcht‘ ich im speziellen Fall auch nicht, den fände ich genauso falsch wie meine rosa Torte Moskau. Statt dieser zwei Extreme hat man – finde ich – zwei Möglichkeiten: Entweder man lässt eine Hauptfigur auf einer zerfetzten Tragfläche lebend aus dem Wasser fischen – dann muss man aber im Finalbild die Katastrophe noch einmal zeigen („A Night to Remember“ ist dafür ein gelungenes Beispiel, finde ich). Oder man benutzt das ,Die Karawane zieht weiter‘-Schema, das ich schöner finde. Dann gibt’s nur eins: Hauptfigur opfern. Franz Werfel macht das. Es ist ganz und gar richtig, es ist diese Art Ende, vor dem wir: Nein, schreien wollen, das wir aber hinnehmen und ganz knapp aushalten und das deshalb bei uns bleibt, wenn wir den großen schwarzen Gong erfolgreich verdrängt und die rosa Torte Moskau längst vergessen haben.
Warum habe ich das also so nicht geschrieben? Wenn ich mir jetzt selbst ins Ohr blasen will: „Weil ich nicht Franz Werfel bin“, höre ich mir nicht zu, weil das eine platte (und überstrapazierte) Ausrede ist. Ich bin nicht Franz Werfel, aber ich habe gewusst, wie mein Roman zu Ende gehen muss, auch schon bevor ich ‚Musa Dagh‘ gelesen habe, und ich habe nicht einmal versucht, es so zu machen. Obwohl ich ‚Die Karawane zieht weiter‘ liebe. Und Torte Moskau eklig finde.
Soll ich mich jetzt in der Luft zerreißen? Davon hätte ich wenig. Besser ich fasse mir ein Herz und gebe mir die richtige Antwort: Ich habe das gemacht, weil ich nicht wollte, dass die Geschichte an der Stelle überhaupt zu Ende ist.
Na bitte. So schwer war’s gar nicht, oder? Schön finde ich das nicht. Aber vertretbar, wenn ich mich jetzt nicht um das drücke, was es in Konsequenz bedeutet. Ich muss die Geschichte zu Ende erzählen. Richtig zu Ende. Die Karawane zieht weiter.
Dass damit mein Roman kitschfrei gerät, bleibt zu bezweifeln, aber das gibt mir nicht das Recht, ihm überhaupt nicht die Chance dazu zu lassen. Mir geht es jetzt besser. Ich kann wieder atmen, weil meine Langleitung sich schließlich bereitgefunden hat, sich zu erinnern, dass Kitsch nicht deshalb schlecht ist, weil uns das Lehrer Hempel in Klasse Neun mal so beigebracht hat, sondern weil er falsch ist. Weil er eine Geschichte falsch macht und ihr das Lebendige abdrückt. Das, was bei uns bleiben könnte und sogar (ein bisschen) gegen den großen schwarzen Gong anstinkt, weil wir’s glauben können.
Ganz nebenbei haben sich im Zuge dessen die Probleme mit den zwei Frauen und den zwei Antagonisten von selbst gelöst, und das ist auch nicht verwunderlich. Ich glaube, Du kannst mir jetzt wieder trauen, Ararat. Und mit mir ins Museum gehen.

E la solita storia …

Dieser Tage habe ich gehört, eine sehr bekannte, erfolgreiche Autorin habe gesagt, wer heute Schriftsteller (sic!) werden möchte, müsse wissen, dass das ein kränkender Beruf sei. Ich kann das jetzt nicht verifizieren, kenne auch die Autorin und ihre Texte nicht, und lasse das einfach mal so stehen.
Für mich stimmt das (auch wenn Schriftsteller nicht mein Beruf ist). Manchmal so, dass ich’s mit dem Rest vom Leben ausgleichen kann, und manchmal so, dass es mir den Atem nimmt. Dieses Jahr ist bisher entschlossen, sich als von der atemberaubenden Sorte zu erweisen, und ein bisschen gehe ich nach drei Monaten schon in die Knie. Aber man wird eben älter, und meine Knie waren zum Marathonlaufen schon immer besser geeignet als zum Schreiben. Gemein wird’s erst, wenn ich wieder mal aus meinem Wolkenkuckucksheim schrecke und bemerke, dass sämtliche Tiefschläge des Veröffentlichens – scheußliche Covers, schlechte Verkaufszahlen, Lektoratsprobleme, verschleppte Zahlungen, verlorene Rechte – mich nicht so sehr kränken wie ich mich selbst. Die schlimmste Kränkung, die, die mich lahmlegt, ist immer die Feststellung, dass auch der brandneue Roman wie seine Vorgänger an der einen Krankheit leidet, an der er nicht leiden sollte: Kitsch.
Mit ihren anderen Fehlern kann ich leben. Die zwicken, aber sie kränken nicht und sie legen mich nicht lahm. Wenn mir einer sagt, meine Bücher sind zu lang, muss ich lachen. Ja, das sind sie, sie hätten schlanke Selleriestangen werden sollen und sind fette Schinken geworden, aber sie sind ja auch von mir (Vegetarier …), und in dem vielen Gesabbel und den Erklärungen zum Kauf einer Bahnsteigkarte erkenne ich zwar nicht meine erfreulichste Seite, aber eine, die ich auch weiterhin wasche. Wenn mir einer sagt, meine Bücher sind düster, trifft mich das, weil ich das nicht bin und weil meine Bücher das nicht sein sollten, aber eigentlich mag ich „düster“ lieber als „rosig“. Es ist nicht verkaufsfördernd, aber es schlägt mir auch nicht auf den Magen.
Kitsch tut das. Kitsch ekelt mich. Kitsch stampft das, was ich mit meinen Geschichten möchte und mir für meine Figuren wünsche, kaputt. Kitsch treibt mich zur Verzweiflung, weil ich mich ihm gegenüber so hilflos fühle. Ich mag keinen lesen. Ich mag keinen schreiben. Wie kommt der dann in meine Geschichten?
Bis ein Roman veröffentlicht ist, betätige ich mich als Meister des Selbstbetrugs, wobei mich nach wie vor fasziniert, wie viel ich mir unbesehen glaube. Während der Überarbeitung fühle ich mich mit gefletschten Zähnen als gefährlicher Kitsch-Hunter, der eine Schmeißfliege nach der anderen platt klatscht und zudem ein Heer tapferer Testleser mit roten Kitschalarm-Leuchten um sich hat. Dann folgt das Lektorat. Wenn mir da noch was in die Finger kommt, rupf ich’s aus und reibe mir die Hände, aber sofort danach beginnt die Drei-Affen-Phase: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Zu Deutsch: Ich tue so, als wüsste ich, dass DIESMAL alles in Ordnung ist mit meinem Text und rühre ihn nicht mehr an, damit ich nicht in Versuchung komme, zu bemerken, wie gewaltig ich mich gerade selbst zum Hansi mache.
Die Belege, die verschickt werden müssen, stopfe ich hastig in Umschläge. Die Kiste mit dem Rest kommt postwendend nach oben, ins Kramzimmer. (Ich lass die immer meinen Mann schleppen, damit mir kein Buch aus Versehen aufklappt …) Dann kommt die erste Rezension, meistens von irgendeinem reizenden Menschen, der irgendwo das reizende Wort „kitschfrei“ unterbringt. Das ist der Augenblick, in dem der Autor, wenn er einen Erbonkel hätte, eine Flasche Champagner kaufen gehen würde. Darauf folgen die Leserunden. Dazu muss das Buch aus der Kiste geholt und aufgeklappt werden, und zeitgleich betritt der erste, nichts Böses wollende Leser die Bühne, der amüsiert grinsend feststellt: „Mensch, Charlie, das ist ja – Kitsch!“ Und das ist der Moment, in dem der Autor, wenn er einen stabileren Magen hätte, eine Flasche Absinth kaufen gehen würde. Und das Buch aus dem Fenster feuern.
Weshalb passiert mir das? Ich unterrichte Creative Writing. Ich coache Romanautoren. Ich lektoriere Romane. Ich kann erklären, wie man einen Cliffhanger setzt und einem Antagonisten Kraft gibt, wie man einen Spannungsbogen straff zieht und einen Figurenpark auf handhabbare Größe reduziert. Aber ich weiß nicht, wie man eine Geschichte erzählt, ohne sie zu kränken, ohne sie mit künstlichen Aromastoffen zu vergiften, ohne ihr die Würde zu nehmen, indem man ihre schönen, klaren Fugen mit Schmalz zukleistert.
Mich macht das so traurig. Mir tut das für meine Geschichten so leid. Ich weiß keine Abhilfe. Selbst wenn ich – was ich sehr gern für meinen Roman tun möchte – Geld, das ich nicht habe, ausgebe, um ein Seminar oder einen Coach zu buchen – gibt es eins oder einen mit dem Motto „Kitsch vermeiden“? Ich habe keines gefunden, ich kenne in dem ganzen Haufen hilfsbereiter Kollegen, von denen ich schon so viel gelernt habe, keinen, der mir sagt: „Pass mal auf, jetzt erkläre ich dir mal, wie du das Schritt für Schritt üben kannst.“
Ich weiß noch, wie verzweifelt ich war, als ich das in Twelfthnight entdeckt habe, in meiner Twelfthnight, von der ich so sicher war, die hätte das nicht nötig. Damals wollte ich unbedingt eine Geschichte über Erasmus von Rotterdam schreiben, weil ich sicher war, da hätte ich das Problem dramaturgisch vermieden, weil die Mann-Frau-Story, bei der mir das immer passiert, nicht enthalten ist. Mich hat das damals keiner schreiben lassen. Und heute sitz‘ ich noch deutlich beknackter da, weil die Story, in die ich verliebt bin, DIE BEIDEN STORIES, IN DIE ICH VERLIEBT BIN, ohne Mann&Frau nicht funktionieren. Ist an der Stelle schon der Wurm drin? Ist der Abstand zwischen Autor und Sujet nicht groß genug? Aber die, wo der Abstand massig war, enthielten auch Kitsch. Nur hat’s mich da weniger gekratzt, weil’s mir nicht so sehr wie Verrat vorkam.
Ich finde Kitsch nicht hübsch. Ich finde Kitsch so unappetitlich wie Schmalz und Kohl und Torte Moskau. Vor allem (ich fürchte, darauf läuft’s bei mir derzeit immer hinaus) finde ich Kitsch so fürchterlich unerotisch. Ich kann doch verdammt nochmal einem Roman nicht einen so chicen Namen wie Ararat geben und ihm dann die Ritzen mit Blümchen-Klopapier vollstopfen!
Ararat, das darf uns nicht passieren. Ich sollte ganz furchtbar mutig sein und die Hatti anschauen, um endlich herauszufinden, warum mir das passiert. Aber ich bin gerade das Gegenteil von ganz furchtbar mutig. Ich fühl mich klein, ich hab Angst um Dich und ich verkriech mich jetzt und fahr‘ mit Dir ins Museum. Morgen, ja? Oder übermorgen. Oder dann, wenn ich den Coach entdeckt habe, der uns hilft und der das Anti-Kitsch- Programm für panische Möchtegern-Autoren erfunden hat.