Bilder aus Urartu

Auf http://www.histo-couch.de startet heute Ararats erste Leserunde, und auf http://www.lovelybooks.de beginnt die Bewerbungsfrist.

Für alle Teilnehmer und Leser, die ansonsten Lust haben, sich beim Lesen auszutauschen, Fragen zu stellen und Bilder von Schauplätzen, Requisiten, Dokumenten anzuschauen, habe ich bei Facebook unter dem Link https://www.facebook.com/groups/782362325227655/?fref=ts eine Gruppe eingerichtet und freue mich über Besucher.

Für die, die nicht bei Facebook sind, möchte ich die Bilder auch hier einstellen. Als erstes eine Handvoll Bilder aus Urartu.

Ararats Hauptfigur Amarna arbeitet als Assyriologin für das British Museum. Ihre Leidenschaft gilt den Ruinen des altorientalischen Reiches Urartu, der Wurzel der armenischen Kultur. Sie kämpft darum, die gefährdeten Überreste dieser faszinierenden Hochkultur vor der endgültigen Zerstörung zu bewahren, weil sie davon überzeugt ist: Wer einem ausgelöschten Volk die Wurzeln raubt, wer zulässt, dass es dem Vergessen anheim fällt, bringt es ein zweites Mal um.
Sie wird dabei unterstützt von ihren Kollegen Wally, Paul und Sedat in London, Berlin und Doğubeyazıt am östlichen Rand der Türkei.

Die hier eingestellten Bilder stammen nicht aus Tuspa/Van, wo leider wenig erhalten ist, sondern aus dem überwältigend schönen Erebuni/Yerevan, wo der Besucher die einzigartige Gelegenheit hat, mit den Grundfesten einer versunkenen Königstadt ganz allein zu sein. Wir haben uns dort gefühlt wie Pioniere der Archäologie.

Die Tante, die da in ein Buch kritzelt, und das bekritzelte Buch sind Ararat und ich …

Und die letzten beiden Bilder von besonders gut erhaltenen Keilschrifttafeln aus anderen urartäischen Königsstädten stammen aus dem Vorderasiatischen Museum Berlin und dem British Museum, London.

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Metamorphosen

Mein Traum

ist  jetzt

ein Buch.

Schau mal, Ararat …

Araratmetamorphosen

Der ganz links, das warst du im Embryonalstadium. Die Kladde habe ich im Dezember 2013 sofort nach Landung gekauft (nicht etwa in London, sondern bei Karstadt Berlin),  nachdem du mir während des Fluges in meinen Kopf geplatzt warst. Darin hab ich alles gesammelt, was mir begegnet ist und ein Teil von dir werden wollte. Da ich damals die ganze Welt durch eine von dir geformte Brille betrachtete, wollte irgendwie auch die ganze Welt ein Teil von dir werden.

Der zweite von links wurdest du, als die Kladde mit den Notizen aus allen Nähten platzte. Das war, als wir im Vorderasiatischen Museum Berlin, unseren ersten Termin hatten. Gleich nach den Gesprächen habe ich dir dort im Shop die Kladde gekauft und angefangen, dein Konzept einzufüllen.

Der zweite von rechts, der mit dem Rosetta-Stone-Design aus meinem, deinem, unserem British Museum, der lag schon hier und wartete auf dich. Darin ist deine allererste Version entstanden, die ich “Bleistift-Version” nenne, obwohl ich sie bei dir als einzigem meiner Romane mit einem Tintenstift geschrieben habe. Erst als ich vor lauter Durchgestreiche diese Version kaum noch entziffern konnte, habe ich angefangen, dich in meinen Computer zu tippen.

Und der ganz rechts, Ararat – ob ich’s glaub oder nicht – der bist du jetzt. Meine schönste verrückteste Idee, mein Traum, mein Hast-du-nicht-Stress-genug? tut so, als wäre es das Normalste auf der Welt, ein Buch zu sein.

Danke, Ararat. In deine vier Papierohren von links nach rechts flüstere ich dir nichts als die Wahrheit: Für mich bist du das schönste Buch auf der Welt.

Nur der in der Mitte, den Corinna uns geschenkt hat, der warst du nie, my love, und der wirst du auch nie sein.

Das ist Smyrna.

 

 

 

 

The Missing – das was fehlt

Die Werbung von heute widmen Ararat und ich dem Projekt “The Missing: Rebuilding the Past” von Erin Thompson und Thalia Vrachopoulos (www.themissingexhibit.com). The Missing stellt erstmals Versuche von Künstlern und Wissenschaftlern zusammen, sich gegen die Zerstörung von Kulturschätzen in Mesopotamien zur Wehr zu setzen und um den Erhalt unserer Vergangenheit zu kämpfen. Weil wir, wenn wir nicht wissen, woher wir kommen, auch nicht wissen, wohin wir müssen. Weil wir, wenn von uns nichts übrig bleibt, sind, als hätten wir nie gelebt.

Meine Romanfiguren Amarna und Wally (Walter) sind das, was man heute Assyriologen nennt, und führen in ihrer Zeit, in ihrem Museum einen ähnlichen Kampf um das, was vom Menschsein bleibt – die Werbung von heute:

“Mein Museum versucht verzweifelt, deine Skulptur zurückzukaufen, weil die Leute danach gieren, weil sie ihre Not darin wiedererkennen, für die sie selbst keinen Ausdruck haben. Du könntest ihnen eine neue machen. Statt dich für ein paar klägliche Informationen verheizen zu lassen, könntest du etwas schaffen, das von uns übrig bleibt. Das eines Tages von Menschen mit Sandsäcken geschützt wird, die dafür kein Geld, keine Orden und gar nichts wollen, sondern es freiwillig tun, weil ihnen die Werke Hoffnung geben, weil sie ein Teil von ihnen sind.“

Wally zog an der Zigarette und hielt sich mit starren Fingern daran fest. „Ich bin Kurator in einem Museum“, sagte er. „Statt tapfer mein Land zu verteidigen, organisiere ich den Transport von Kunstwerken in U-Bahnschächte und unterkellerte Bibliotheken. Ich lasse mich von meinem Vater Drückeberger schimpfen, weil ich weiß, es war den vielen Menschen, die irgendwelche Scheiß-Kriege nicht überlebt haben, wichtig, dass von ihnen etwas übrig blieb. Dass sie nicht vergessen sind. So wie es den vielen Menschen, die diesen Scheiß-Krieg nicht überleben werden, wichtig ist.“

Arman verlangsamte die Fahrt. Die Benutzung von Hupen war neuerdings verboten, damit niemand das Geräusch mit der Sirene der Bombenwarnung verwechselte, aber hinter ihnen trötete dennoch jemand in voller Lautstärke.

„Deiner Frau ist es auch wichtig“, sagte Wally. „Sie legt sich krumm, um diese Stelen vom Ararat zu retten, weil sie glaubt, dass es dir wichtig ist.”

Ararat – “Und sie werden nicht vergessen sein”. Knaur Taschenbuch, 1. März 2016

Slogigan

Aus dem British Museum

Archtablet

“To a cuneiform scholar the Ark Tablet, if not breathtakingly beautiful, will always be a thing of wonder.”

Das schreibt Irving Finkel, Kurator der Keilschrift-Sammlung des British Museum, über diese Tafel, die analog zum Flood Tablet Ark Tablet heißt. Der Rest seines wundervollen Buches „The Ark before Noah“ singt in demselben Ton. Das Buch ist ein Liebeslied für dieses handtellergroße Stück Ton, diese Zeitkapsel, die er bewahrt und uns zugänglich gemacht hat. Sein Bericht von dem Augenblick, in dem er die Worte „Wand, Wand! Schilfwand, Schilfwand“ Atrahasis …“ auf der Tafel entzifferte und begriff, was er in Händen hielt, ist so voller Zauber, Herzklopfen und atemloser Ehrfurcht, dass ich keine So-lernten-wir-uns-kennen-Geschichte weiß, die daneben nicht verblasst.

Irving Finkel hat um sein Ark Tablet gedient wie Jakob um Rachel – fünfzehn volle Jahre. Douglas Simmonds, ein Museumsbesucher, hatte ihm die Tafel 1985 gebracht, weil er wissen wollte, worum es sich handelte. Er hatte das beschriftete Stück Ton von seinem Vater, einem im Nahen Osten stationierten RAF-Piloten, als Geschenk erhalten, ohne zu ahnen, was für einen Schatz für die ganze Welt er darin besaß. Irving Finkel erzählt, er sei „wobbly with desire“ gewesen, sobald er erfasste, dass ihm eine Version der Sintfluterzählung aus dem Atrahasis-Epos vorlag – einem in Akkadisch abgefassten, babylonischen Epos, das sich bis mindestens 1800 vor Christi zurückdatieren lässt und es also im Alter mit Gilgamesch aufnimmt.

Irving Finkel bestürmte Douglas Simmonds, ihm die Tafel zu überlassen, wie ein Anbeter den Vater seiner Liebsten. Simmonds weigerte sich. Es sollte fünfzehn Jahre dauern, bis er sich schließlich bereitfand, Finkel die Tafel auszuhändigen, sodass der sie entziffern und uns den Inhalt zugänglich machen konnte. Inzwischen steht sie, wo sie hin gehört, im Museum, wo jeder sie sehen kann, ohne dafür zu bezahlen. Wer – wie ich – keine Keilschrift lesen kann, liest am besten Irving Finkels Buch und erfährt mit Erstaunen: Die Arche des Atrahasis – eines „Noah“ von Babylon – war rund …

Das Ark Tablet wird begleitet von einem Ausschnitt aus der Antwort des Uta-napischti, des Überlebenden der Sintflut, an Gilgamesch, aus der zehnten Tafel des Gilgamesch-Epos, zitiert nach Stefan Maul:

Es gibt eine Zeit, da bauen wir ein Haus,

Es gibt eine Zeit, da nisten wir im Nest.

Es gibt eine Zeit, da teilen sich die Brüder ihr Erbe,

Es gibt eine Zeit, da herrscht Hass in Land.

Es gibt eine Zeit, da der Fluss anschwoll und die Flut herbrachte,

Da die Eintagsfliege auf dem Fluss sich treiben lässt,

Da ihr Blick sich auf der Sonne Antlitz richtet,

Doch dann mit einem Mal ist nichts mehr davon da.

Der Verschleppte und der Tote, die sind wie eines Mundes,

Denn nicht mehr können sie das Bild des Todes zeichnen.

Noch nie hat ein toter Mann seine Grüße in das Land zurückgesandt.

Die Unterweltsgötter, die großen, waren versammelt,

Mamitum, die das Schicksal formt, bestimmte mit ihnen das Schicksal.

Sie setzten ein den Tod und das Leben,

Doch nicht taten sie dabei des Todes Tages kund.

Aus dem British Museum

Floodtabletcopy

Dies ist nicht nur eines der berühmtesten Objekte des Museums, sondern – finde ich – vielleicht das zauberhafteste, unglaublichste. Mein liebstes, deshalb kommt es als erstes: das Flood Tablet.  Die elfte Tafel des Gilgamesch-Epos, das, als es für die Bibliothek des assyrischen Königs Assurbaniapli um 630 v. Chr. in akkadischer Sprache aufgeschrieben wurde, bereits 2000 Jahre alt gewesen sein mag. Damit gehört es zu den ältesten überlieferten Erzähltexten der Weltliteratur, und dass es uns, wenn wir es lesen, so nah und neu erscheint, ist sein Zauber. Die Geschichten, die wir uns in den 4000 Jahren seither erzählen – auf die eine oder andere Weise finden sie alle ihren Weg zurück zu Gilgamesch, dem König von Uruk, der die Unsterblichkeit sucht, aber seinen geliebten Freund Enkidu verlieren und den Tod erleben muss, um zu lernen, was es heißt, ein Mensch zu sein.

George Smith, der das Tablet 1872 identifizierte und übersetzte, brach darüber in solche Begeisterung aus, dass er sich die Kleider (sämtliche) vom Leib riss und nackt durch das British Museum sprang. (Ich sag’s ja immer: Wer Museen für eine trockene Angelegenheit hält, der kennt unseres nicht.)

Wie der rote Punkt am Flood Tablet signalisiert, ist dieses nicht das Original – das befindet sich nämlich gerade auf Ausleihe in Abu Dhabi. Ich verspreche, ich reiche das echte nach, wenn es wieder zu Hause ist.

Das Flood Tablet wird begleitet von einem Ausschnitt aus Gilgameschs Klage um Enkidu, zitiert nach Professor Albert Schott, für mich das schönste Liebeslied der Weltliteratur. Der großartige Elias Canetti nannte die Klage “eine ungeheure Konfrontation mit dem Tod, die einzige, die den modernen Menschen nicht mit dem bitteren Nachgeschmack des Selbstbetrugs entlässt”.

 

Klagen mögen die Fluren wie deine Mutter!
Weinen möge über dich der Wald, die Zypresse und die Zeder!
…, die wir verwüsteten in, unserem Grimm!
Weinen möge über dich Bär, Hyäne, Tiger, Wisent, Parder,
Löwe, Wildstier, Hirsch, Steinbock, alles Getier des Feldes!
Weinen möge über dich der heilige Ulai-Fluß, an dessen Ufer wir stolz einhergingen!
Weinen möge über dich der reine Euphrat-Fluß,
An dem wir so oft opferten (klares) Schlauchwasser!
Weinen mögen über dich die Männer des weiten Uruk-Gart,
Die wir im Kampf sahen, als wir den Himmelsstier töteten.
Weinen möge über dich der Landmann wegen der Löwen,
Der im frohen Arbeitslied deinen Namen erhob!
Weinen möge über dich … der weiten Stadt, der …,
Der im ersten … deinen Namen erhob.
Weinen möge über dich der Hirte, der…
Butter und Leichtbier recht bereitete für deinen Mund.
Weinen möge über dich 
… 
trug auf auf deinen .. die Butter.

Weinen möge über dich
stellte hin feines Bier für deinen Mund.
Weinen möge über dich die Dirne 
… 
mit Öl salbtest du dich, (und) es gefiel dir.

Weinen möge über dich 
Im Sippenhaus des Gatten einen Ring gab man dir.

Weinen möge über dich 
Die Brüder mögen weinen über dich wie Schwestern!

Deine … seien Klagepriester. .
Ausgerauft seien ihre Haare über dir!
… Enkidu, deine Mutter und dein Vater sind in ihrer Steppe,
Ich weine über dich 

Einen schönen Tag wünschen Charlie und Ararat

Statt meiner Dankesrede als Tennisstar …

Ob das die schönste Woche in meinem Leben ist, hat mich gestern jemand gefragt. Nein, die ist es natürlich nicht, denn ich habe ja einen Mann geheiratet, Kinder geboren und einen Enkel geschenkt bekommen. Und war in Yerevan. Aber davon abgesehen – ja. Das hier ist die schönste Woche in meinem Leben als Geschichtenerzähler, und das verdanke ich denen, um die’s geht. Den Leuten, die mein Buch lesen und mir davon erzählen. Dass Leute es kaufen, ist wundervoll. Dass es sich eventuell (!) finanziell rentieren könnte, ist eine phantastische Vorstellung, wir sind ein großer Haufen, der ständig aus dem letzten Loch pfeift, und Geld bedeutet Zeit (und Yerevan). Aber dass Leute es LESEN, ist das schönste. Dass sie sich bei mir melden, mit mir flirten, mir erzählen, wie es ihnen mit dem Buch ergangen ist – das ist unübertrefflich und borgt uns, Ararat und mir, ein Paar Flügel. Und weil das so schön ist und wir dafür so dankbar sind, haben Ararat und ich beschlossen: Jedes Mal, wenn wir zwei uns einen traumhaften Tag im Museum stehlen, bringen wir von jetzt an euch etwas mit. Ein Stück Vergangenheit, das wir lieben, und ein Stück Text, das dazu passt und das wir auch lieben. In der Hoffnung, dass sich der eine oder andere daran freut. Und da wir gestern einen unserer Museums-Traumtage hatten, geht es heute – gleich – los …

Never say never

Guten Morgen im Mai. Hier spricht übrigens die Frau, die noch nie – auch nicht zur Teenie-Zeit der Baum-und-Strauch-Verse – ein Gedicht geschrieben hat.   Hier spricht auch die, die auf Englisch nie etwas anderes als Fachtexte – und höchstens mal ein bisschen was Journalistisches – schreibt.   Vor allem aber spricht hier die, die noch vor einem halben Jahr verkündet hat, sie würde nie – in Worten: NIE – und nicht für den Preis ihres Lebens Kinderfotos ins Internet stellen.   So viel zu nie: Image Das ist ja kein Kinderfoto, gell?   Das sind zwei Dichter.   Genauer gesagt sind das mein jüngster Sohn Raul sowie der grandiose Adnan al-Sayegh, die im Rahmen der Lesung „Writing Mesopotamia“ abwechselnd auf Arabisch und Englisch ein Gedicht lesen, das mein Sohn geschrieben hat. Die Lesung fand statt am Sonntag, dem 27. April, im schönsten Museum der Welt und wurde veranstaltet von Jenny Lewis, Adnan al-Sayegh und dem Department of Middle East. Das Gedicht meines Sohnes heißt „When they believed in us“ und ist dem mesopotamischen Gott Enlil in den Mund gelegt. Es gefiel Adnan so gut, dass er es übersetzen wollte. Da eine Oud-Spielerin die Lesung musikalisch begleitete, wurde darum gebeten, zwischen den einzelnen Gedichten nicht zu klatschen. Bei der Lesung von Adnan und meinem Sohn (dem einzigen nicht volljährigen Dichter) wurde dies nicht eingehalten. Die Zuhörer sprangen einfach auf und klatschten los.   Sollte sich dieser Blogbeitrag nach dem bis zum Überdruss bekannten Gesäusel eines vor Stolz platzenden Exemplars der Gattung Mutti anhören, sei das auf leichter Schulter hingenommen. Es fiele mir äußerst schwer, in Worte zu fassen, wie buchstäblich atemberaubend es sich anfühlte, meinen Sohn und Adnan sein Lied des Enlil lesen zu hören. Nicht weniger atemberaubend war es, Adnan und Jenny ihre eigenen Werke lesen zu hören – allen voran Auszüge aus Adnans fünfhundertseitigem Versepos „Anthem to Uruk“, von dem ich nur hoffen kann, dass sich eine vollständige Übersetzung irgendwann finanzieren lässt. Sehr weit über „atemberaubend“ hinaus ging das Privileg, Jenny und Adnan zu erleben, die auf Arabisch und Englisch aus der Zwölftafel-Version des Gilgamesch-Epos lasen. Ich bin diesem Epos verfallen, solange ich denken kann, ich sammle Versionen und habe mich im letzten Jahr noch einmal heftig und innig in es verliebt. Ich habe etwas Vergleichbares nie (sic) erlebt und ich werde nie (sic) wieder Gilgamesch-Text anschauen können, ohne Jenny und Adnan zu hören, die „Lamentation for Enkidu“ lesen, für mich das schönste Liebesgedicht der Weltgeschichte.   Diese Lesung kam zustande im Rahmen des Workshops „Writing Mesopotamia“, von dem ich – Pathos hin Pathos her – ein bisschen das Gefühl habe, er hätte mir in den letzten Monaten hier das Leben (zumindest aber das Selbstwertgefühl als denkender, schreibender Mensch) gerettet. Dem Talent und der charismatischen Präsenz von Jenny und Adnan beugt sich der hartleibigste Ich-kann-nicht-schreiben-Komplex. Die finale Überarbeitung von Carmens Roman „Hattuša“ und die erste Planungsphase von meinem Roman „Ararat“ haben sich vom Schwung dieses Workshops durch eine ziemliche Wüste schleppen lassen. Und nebenbei habe ich noch gemacht, was ich nie mache. Ein Gedicht geschrieben. Nee, zwei. Auf Englisch.   Wer sich für diesen Workshop interessiert, den bitte ich, sich bei mir zu melden, da wir uns derzeit darum bemühen, ihn im nächsten Frühjahr fortsetzen oder wiederholen zu können. Und wer wissen möchte, was mich daran so hinreißt, den bitte ich, Jenny Lewis und Adnan al-Sayegh zu lesen.

Inspiration

Gestern hatte ich das unschätzbare Privileg, im Museum einen Workshop der Lyriker Jenny Lewis und Adnan al Sayegh zu erleben, die über mesopotamische Literatur sprachen. Seither sind überall in meinem Kopf kleine Steinschläge. Wir gingen dann noch hinüber in die Galerien, um uns Ashurbanipals Löwenjagd anzusehen, ich schaute eine gefühlte halbe Stunde lang einen Pfeil an, der aus dem Relief herausragte, Adnan al Sayegh las in zum Niederknien schönen Arabisch ein Gedicht vom Stehen in Malmö und Sich-Sehnen nach Mesopotamien, und das Leben war unverschämt reich und schön. Niedergekniet bin ich nicht, aber ich hatte in meiner engen Kehle einen enorm festen Klumpen.
Vermutlich einmalig in Zweitausendundvierzehn ist die Tatsache, dass ich den ganzen Abend durchgehalten habe, ohne ein einziges Mal nach innen ‚Ich bin müde‘ zu schreien. Warum ist eigentlich diese Felsspalte, die zwischen Arbeit, die man tun will, und Arbeit, die man tun muss, klafft, so unüberwindlich tief?
Müßige Frage, leider, denn natürlich habe ich auch an diesem Wochenende vergessen, einen Lottoschein zu kaufen. Mehr fasziniert mich, während mein Kopf die Bilder aus Urartu, die Bilder aus Mesopotamien, die Bilder aus dem Ausstellungskatalog ‚Entartete Kunst‘ zusammensetzt, warum da eine so tiefe Spalte klafft zwischen Romanen, die man schreiben will oder schreiben muss, und Romanen, die man einfach schreibt. Ohne zu wollen, ohne zu müssen, nur weil man der, der man ist, eben ist. Das klingt hübsch verquer, fühlt sich aber völlig geradeaus gedacht an. Mir wird glasklar, was den Unterschied zwischen Hatti und Ararat und all den anderen (die ich zum Teil mit glühender Leidenschaft schreiben wollte) ausmacht. Sie sind meine. Ich schreib sie einfach, auch wenn ich nicht schreibe, sondern durch die assyrischen Galerien spaziere und wundervolle arabische Gedichte anhöre, von denen ich kein Wort verstehe. Ich schreib sie einfach und hätte sie auch dann noch geschrieben, wenn ich meine Sprache nicht mehr verstünde oder keinen Bleistift und kein Papier mehr hätte (hab ich aber – das Museum hat mir gestern welches geschenkt, was ich kaum annehmen konnte, weil ich mir in diesem Museum sowieso immer vorkomme, als wäre ich dem Weihnachtsmann persönlich begegnet).
Ich kann mit Ararat durch die Gegend wandern und er kommt ganz allein in meinen Kopf. Swimathon mit den Kindern, laut durch die Messe lachen mit dem Enkel, steinhartes Flachbrot backen, Klaus Mann wiederlesen, armenische Lieder auf den i-Pod laden, abends Carcassonne spielen, sich über den Buchmarkt aufregen, stundenlang über Zivilisation schwätzen und sich nach Mesopotamien sehnen, das ist alles Ararat. Und das einzige Problem, das wir jetzt noch haben ist, dass auch überall da Ararat ist, wo er als einziges nicht hingehört: In meiner Arbeit …