Dies ist nicht nur eines der berühmtesten Objekte des Museums, sondern – finde ich – vielleicht das zauberhafteste, unglaublichste. Mein liebstes, deshalb kommt es als erstes: das Flood Tablet. Die elfte Tafel des Gilgamesch-Epos, das, als es für die Bibliothek des assyrischen Königs Assurbaniapli um 630 v. Chr. in akkadischer Sprache aufgeschrieben wurde, bereits 2000 Jahre alt gewesen sein mag. Damit gehört es zu den ältesten überlieferten Erzähltexten der Weltliteratur, und dass es uns, wenn wir es lesen, so nah und neu erscheint, ist sein Zauber. Die Geschichten, die wir uns in den 4000 Jahren seither erzählen – auf die eine oder andere Weise finden sie alle ihren Weg zurück zu Gilgamesch, dem König von Uruk, der die Unsterblichkeit sucht, aber seinen geliebten Freund Enkidu verlieren und den Tod erleben muss, um zu lernen, was es heißt, ein Mensch zu sein.
George Smith, der das Tablet 1872 identifizierte und übersetzte, brach darüber in solche Begeisterung aus, dass er sich die Kleider (sämtliche) vom Leib riss und nackt durch das British Museum sprang. (Ich sag’s ja immer: Wer Museen für eine trockene Angelegenheit hält, der kennt unseres nicht.)
Wie der rote Punkt am Flood Tablet signalisiert, ist dieses nicht das Original – das befindet sich nämlich gerade auf Ausleihe in Abu Dhabi. Ich verspreche, ich reiche das echte nach, wenn es wieder zu Hause ist.
Das Flood Tablet wird begleitet von einem Ausschnitt aus Gilgameschs Klage um Enkidu, zitiert nach Professor Albert Schott, für mich das schönste Liebeslied der Weltliteratur. Der großartige Elias Canetti nannte die Klage “eine ungeheure Konfrontation mit dem Tod, die einzige, die den modernen Menschen nicht mit dem bitteren Nachgeschmack des Selbstbetrugs entlässt”.
Klagen mögen die Fluren wie deine Mutter!
Weinen möge über dich der Wald, die Zypresse und die Zeder!
…, die wir verwüsteten in, unserem Grimm!
Weinen möge über dich Bär, Hyäne, Tiger, Wisent, Parder,
Löwe, Wildstier, Hirsch, Steinbock, alles Getier des Feldes!
Weinen möge über dich der heilige Ulai-Fluß, an dessen Ufer wir stolz einhergingen!
Weinen möge über dich der reine Euphrat-Fluß,
An dem wir so oft opferten (klares) Schlauchwasser!
Weinen mögen über dich die Männer des weiten Uruk-Gart,
Die wir im Kampf sahen, als wir den Himmelsstier töteten.
Weinen möge über dich der Landmann wegen der Löwen,
Der im frohen Arbeitslied deinen Namen erhob!
Weinen möge über dich … der weiten Stadt, der …,
Der im ersten … deinen Namen erhob.
Weinen möge über dich der Hirte, der…
Butter und Leichtbier recht bereitete für deinen Mund.
Weinen möge über dich …
… trug auf auf deinen .. die Butter.
Weinen möge über dich
stellte hin feines Bier für deinen Mund.
Weinen möge über dich die Dirne …
… mit Öl salbtest du dich, (und) es gefiel dir.
Weinen möge über dich …
Im Sippenhaus des Gatten einen Ring gab man dir.
Weinen möge über dich …
Die Brüder mögen weinen über dich wie Schwestern!
Deine … seien Klagepriester. .
Ausgerauft seien ihre Haare über dir!
… Enkidu, deine Mutter und dein Vater sind in ihrer Steppe,
Ich weine über dich …
Einen schönen Tag wünschen Charlie und Ararat