Never say never

Guten Morgen im Mai. Hier spricht übrigens die Frau, die noch nie – auch nicht zur Teenie-Zeit der Baum-und-Strauch-Verse – ein Gedicht geschrieben hat.   Hier spricht auch die, die auf Englisch nie etwas anderes als Fachtexte – und höchstens mal ein bisschen was Journalistisches – schreibt.   Vor allem aber spricht hier die, die noch vor einem halben Jahr verkündet hat, sie würde nie – in Worten: NIE – und nicht für den Preis ihres Lebens Kinderfotos ins Internet stellen.   So viel zu nie: Image Das ist ja kein Kinderfoto, gell?   Das sind zwei Dichter.   Genauer gesagt sind das mein jüngster Sohn Raul sowie der grandiose Adnan al-Sayegh, die im Rahmen der Lesung „Writing Mesopotamia“ abwechselnd auf Arabisch und Englisch ein Gedicht lesen, das mein Sohn geschrieben hat. Die Lesung fand statt am Sonntag, dem 27. April, im schönsten Museum der Welt und wurde veranstaltet von Jenny Lewis, Adnan al-Sayegh und dem Department of Middle East. Das Gedicht meines Sohnes heißt „When they believed in us“ und ist dem mesopotamischen Gott Enlil in den Mund gelegt. Es gefiel Adnan so gut, dass er es übersetzen wollte. Da eine Oud-Spielerin die Lesung musikalisch begleitete, wurde darum gebeten, zwischen den einzelnen Gedichten nicht zu klatschen. Bei der Lesung von Adnan und meinem Sohn (dem einzigen nicht volljährigen Dichter) wurde dies nicht eingehalten. Die Zuhörer sprangen einfach auf und klatschten los.   Sollte sich dieser Blogbeitrag nach dem bis zum Überdruss bekannten Gesäusel eines vor Stolz platzenden Exemplars der Gattung Mutti anhören, sei das auf leichter Schulter hingenommen. Es fiele mir äußerst schwer, in Worte zu fassen, wie buchstäblich atemberaubend es sich anfühlte, meinen Sohn und Adnan sein Lied des Enlil lesen zu hören. Nicht weniger atemberaubend war es, Adnan und Jenny ihre eigenen Werke lesen zu hören – allen voran Auszüge aus Adnans fünfhundertseitigem Versepos „Anthem to Uruk“, von dem ich nur hoffen kann, dass sich eine vollständige Übersetzung irgendwann finanzieren lässt. Sehr weit über „atemberaubend“ hinaus ging das Privileg, Jenny und Adnan zu erleben, die auf Arabisch und Englisch aus der Zwölftafel-Version des Gilgamesch-Epos lasen. Ich bin diesem Epos verfallen, solange ich denken kann, ich sammle Versionen und habe mich im letzten Jahr noch einmal heftig und innig in es verliebt. Ich habe etwas Vergleichbares nie (sic) erlebt und ich werde nie (sic) wieder Gilgamesch-Text anschauen können, ohne Jenny und Adnan zu hören, die „Lamentation for Enkidu“ lesen, für mich das schönste Liebesgedicht der Weltgeschichte.   Diese Lesung kam zustande im Rahmen des Workshops „Writing Mesopotamia“, von dem ich – Pathos hin Pathos her – ein bisschen das Gefühl habe, er hätte mir in den letzten Monaten hier das Leben (zumindest aber das Selbstwertgefühl als denkender, schreibender Mensch) gerettet. Dem Talent und der charismatischen Präsenz von Jenny und Adnan beugt sich der hartleibigste Ich-kann-nicht-schreiben-Komplex. Die finale Überarbeitung von Carmens Roman „Hattuša“ und die erste Planungsphase von meinem Roman „Ararat“ haben sich vom Schwung dieses Workshops durch eine ziemliche Wüste schleppen lassen. Und nebenbei habe ich noch gemacht, was ich nie mache. Ein Gedicht geschrieben. Nee, zwei. Auf Englisch.   Wer sich für diesen Workshop interessiert, den bitte ich, sich bei mir zu melden, da wir uns derzeit darum bemühen, ihn im nächsten Frühjahr fortsetzen oder wiederholen zu können. Und wer wissen möchte, was mich daran so hinreißt, den bitte ich, Jenny Lewis und Adnan al-Sayegh zu lesen.

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