Gestern hatte ich das unschätzbare Privileg, im Museum einen Workshop der Lyriker Jenny Lewis und Adnan al Sayegh zu erleben, die über mesopotamische Literatur sprachen. Seither sind überall in meinem Kopf kleine Steinschläge. Wir gingen dann noch hinüber in die Galerien, um uns Ashurbanipals Löwenjagd anzusehen, ich schaute eine gefühlte halbe Stunde lang einen Pfeil an, der aus dem Relief herausragte, Adnan al Sayegh las in zum Niederknien schönen Arabisch ein Gedicht vom Stehen in Malmö und Sich-Sehnen nach Mesopotamien, und das Leben war unverschämt reich und schön. Niedergekniet bin ich nicht, aber ich hatte in meiner engen Kehle einen enorm festen Klumpen.
Vermutlich einmalig in Zweitausendundvierzehn ist die Tatsache, dass ich den ganzen Abend durchgehalten habe, ohne ein einziges Mal nach innen ‚Ich bin müde‘ zu schreien. Warum ist eigentlich diese Felsspalte, die zwischen Arbeit, die man tun will, und Arbeit, die man tun muss, klafft, so unüberwindlich tief?
Müßige Frage, leider, denn natürlich habe ich auch an diesem Wochenende vergessen, einen Lottoschein zu kaufen. Mehr fasziniert mich, während mein Kopf die Bilder aus Urartu, die Bilder aus Mesopotamien, die Bilder aus dem Ausstellungskatalog ‚Entartete Kunst‘ zusammensetzt, warum da eine so tiefe Spalte klafft zwischen Romanen, die man schreiben will oder schreiben muss, und Romanen, die man einfach schreibt. Ohne zu wollen, ohne zu müssen, nur weil man der, der man ist, eben ist. Das klingt hübsch verquer, fühlt sich aber völlig geradeaus gedacht an. Mir wird glasklar, was den Unterschied zwischen Hatti und Ararat und all den anderen (die ich zum Teil mit glühender Leidenschaft schreiben wollte) ausmacht. Sie sind meine. Ich schreib sie einfach, auch wenn ich nicht schreibe, sondern durch die assyrischen Galerien spaziere und wundervolle arabische Gedichte anhöre, von denen ich kein Wort verstehe. Ich schreib sie einfach und hätte sie auch dann noch geschrieben, wenn ich meine Sprache nicht mehr verstünde oder keinen Bleistift und kein Papier mehr hätte (hab ich aber – das Museum hat mir gestern welches geschenkt, was ich kaum annehmen konnte, weil ich mir in diesem Museum sowieso immer vorkomme, als wäre ich dem Weihnachtsmann persönlich begegnet).
Ich kann mit Ararat durch die Gegend wandern und er kommt ganz allein in meinen Kopf. Swimathon mit den Kindern, laut durch die Messe lachen mit dem Enkel, steinhartes Flachbrot backen, Klaus Mann wiederlesen, armenische Lieder auf den i-Pod laden, abends Carcassonne spielen, sich über den Buchmarkt aufregen, stundenlang über Zivilisation schwätzen und sich nach Mesopotamien sehnen, das ist alles Ararat. Und das einzige Problem, das wir jetzt noch haben ist, dass auch überall da Ararat ist, wo er als einziges nicht hingehört: In meiner Arbeit …