The Missing – das was fehlt

Die Werbung von heute widmen Ararat und ich dem Projekt “The Missing: Rebuilding the Past” von Erin Thompson und Thalia Vrachopoulos (www.themissingexhibit.com). The Missing stellt erstmals Versuche von Künstlern und Wissenschaftlern zusammen, sich gegen die Zerstörung von Kulturschätzen in Mesopotamien zur Wehr zu setzen und um den Erhalt unserer Vergangenheit zu kämpfen. Weil wir, wenn wir nicht wissen, woher wir kommen, auch nicht wissen, wohin wir müssen. Weil wir, wenn von uns nichts übrig bleibt, sind, als hätten wir nie gelebt.

Meine Romanfiguren Amarna und Wally (Walter) sind das, was man heute Assyriologen nennt, und führen in ihrer Zeit, in ihrem Museum einen ähnlichen Kampf um das, was vom Menschsein bleibt – die Werbung von heute:

“Mein Museum versucht verzweifelt, deine Skulptur zurückzukaufen, weil die Leute danach gieren, weil sie ihre Not darin wiedererkennen, für die sie selbst keinen Ausdruck haben. Du könntest ihnen eine neue machen. Statt dich für ein paar klägliche Informationen verheizen zu lassen, könntest du etwas schaffen, das von uns übrig bleibt. Das eines Tages von Menschen mit Sandsäcken geschützt wird, die dafür kein Geld, keine Orden und gar nichts wollen, sondern es freiwillig tun, weil ihnen die Werke Hoffnung geben, weil sie ein Teil von ihnen sind.“

Wally zog an der Zigarette und hielt sich mit starren Fingern daran fest. „Ich bin Kurator in einem Museum“, sagte er. „Statt tapfer mein Land zu verteidigen, organisiere ich den Transport von Kunstwerken in U-Bahnschächte und unterkellerte Bibliotheken. Ich lasse mich von meinem Vater Drückeberger schimpfen, weil ich weiß, es war den vielen Menschen, die irgendwelche Scheiß-Kriege nicht überlebt haben, wichtig, dass von ihnen etwas übrig blieb. Dass sie nicht vergessen sind. So wie es den vielen Menschen, die diesen Scheiß-Krieg nicht überleben werden, wichtig ist.“

Arman verlangsamte die Fahrt. Die Benutzung von Hupen war neuerdings verboten, damit niemand das Geräusch mit der Sirene der Bombenwarnung verwechselte, aber hinter ihnen trötete dennoch jemand in voller Lautstärke.

„Deiner Frau ist es auch wichtig“, sagte Wally. „Sie legt sich krumm, um diese Stelen vom Ararat zu retten, weil sie glaubt, dass es dir wichtig ist.”

Ararat – “Und sie werden nicht vergessen sein”. Knaur Taschenbuch, 1. März 2016

Slogigan

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Zum dritten Advent

Thirdofadvent

Fabian (3): „Zwei Flüsse sind da und viele Bäume. Weihnachtsbäume und Bananenbäume und Weintraubenbäume. Die Bananen sind riesengroß. Und die Weintrauben sind noch riesengrößer.“

Charlie (49): „Können wir die essen?“

Fabian (3): Ja, da haben wir nie Hunger.“

Charlie (49): „Werden die nie leer die Bäume?“

Fabian (3): „Doch manchmal. Dann essen wir Gummibärchen.

Ich wünsch dir viele Gummibärchen, Zweiflussland. Und Stille unter deinen Weintraubenbäumen.

Zum zweiten Advent

Secondofadvent

Charlie (49): „Und wenn wir da landen, glaubst du wir können die zwei Flüsse schon sehen?“

Fabian (3): „Ja, die sind ja ganz groß. Und den Wald und den Fuchs und die Eule und das Squiggel können wir auch sehen. Und den Hubaba.“
Charlie (49): „Machst du das mit mir? Fliegst du mit mir irgendwann mal da hin?“
Fabian (3): „Ja mit dem pinken Flugzeug. Und meine Mami kommt auch mit.“

Sei noch da, wenn wir kommen, Zweiflussland. Und halt Ausschau nach pinken Flugzeugen. Gott behüte dich.

Irving Finkels Cuneiform-Liebesbrief

Über die vielen Wünsche, Grüße und Nachrichten zu meinem letzten Geburtstag vor Fünfzig war ich sehr gerührt und bedanke mich herzlich. Ich mache vom Nachdenken übers Schreiben noch eine kleine Weile Pause und verkriech mich in Arbeit, Beisammensitzen mit reizendem Besuch und atemberaubendem anderen (siehe gleich), weil’s mir nach dem Verlust der Twelfthnight-Rechte noch immer nicht gut geht und ich ein bisschen im Wozu-machst-du-den-Quatsch-eigentlich?-Loch feststecke. Mein Enkel (2) reagiert deutlich souveräner, wenn ihm sein Onkel, mein Sohn (11), das liebevoll errichtete Klotztürmchen mit einem Gummi-Auto zum Einsturz bringt …

Umso mehr bedank‘ ich mich mal laut bei meiner Freundin C, die mir mit Bildern von der Leipziger Messe, vor allem aber mit freundlichsten Worten zu meiner (nee, Carmens) Hattuša, um die mir in dieser Bringt-doch-eh-alles-nix-Phase angst und bange wird, kräftig ins Dunkel geleuchtet hat. See you soon!

Und dann ergreife ich wieder die Gelegenheit und empfehle ein Buch, das mir die schwarze Galle wegen der blöden Schreiberei vertreibt: Irving Finkels „The Ark before Noah. Decoding the Story of the Flood“. Irving Finkel, ist Kurator der riesenhaften Cuneiform Tablet Sammlung des British Museum und einer der führenden Cuneiform Experten der Welt. Sein Buch basiert in erster Linie auf den Erkenntnissen, die er aus einem Cuneiform Tablet gewann, nachdem es ihm im Jahr 2009 aus Privatbesitz übergeben wurde. Es ist ein revolutionäres Buch zum Sintflut-Mythos und ein sammelndes, Grund vermittelndes zugleich. Irving Finkel versteht sich darauf, komplexes Material zu sortieren und verständlich darzulegen, er spart seine Person und seine Passion nicht aus, verschreibt sich klar dem Genre „Erzählendes Sachbuch“ und klingt doch nirgendwo populärwissenschaftlich und nach „Die Sintflut leicht gemacht für jedermann.“ Und Irving Finkel kann schreiben. Gott im Himmel, kann der Mann schreiben! Wer hierherkommt, sollte die Gelegenheit nutzen, ihn bei einem seiner Talks und Lectures im Museum live zu hören, es ist ein erstaunliches Erlebnis. Und so unwiderstehlich, wie er erzählt, so schreibt er auch.

In einem Interview mit dem Telegraph wurde Irving Finkel gefragt: „Sie haben doch eigentlich gar kein Buch zum Sintflut-Mythos, sondern einen Liebesbrief an die Cuneiform geschrieben, oder?“ Irving Finkel hat dies ohne Federlesens bejaht. Wer sich für Cuneiform interessiert, sollte sich das, was dieser Champion der weltältesten Schriftform dazu zu sagen hat, auf keinen Fall entgehen lassen. Ich bin durch das Gilgamesch-Epos beim Sintflut-Mythos gelandet und inzwischen süchtig. Aber ich glaube, ich würde dieses Buch auch lesen wollen, wenn mir der komplette mittlere Osten am schönsten Körperteil vorbeiginge, schlicht, weil es so brillant ist.