Born in June

Ich wollt‘ nur mal leise winken und flüstern:

Ich bin noch da.

Ich habe mir diesen Blog angeschafft, weil ich einen Roman schreiben wollte.

Meinen Roman.

Weil ich so viel Angst vor der eigenen Courage hatte und nicht allein sein wollte mit solchem größenwahnsinnigen Unterfangen: Einen Roman schreiben. Meinen.

Zweifel daran, dass ich das Zeug dazu habe, hätte ich auch in einem guten Jahr gehabt. Aber das, was folgte, war unser schwerstes. Eins, in dem man alles mögliche, aber nicht noch einen Roman, den keiner bestellt hat, brauchen kann.

Mein Roman hat aber nicht losgelassen. Meine Zweifel auch nicht:

Ich kann das nicht, denn ich hab‘s ja bis jetzt nicht gekonnt.

Ich kann das nicht, weil ich gar keine Zeit habe.

Ich kann das nicht, weil ich mir solchen teuren Roman nicht leisten kann.

Ich kann das nicht, weil ich auf dem Zahnfleisch geh, mir den Magen verdorben hab und schon das Nötigste kaum auf die Reihe bring‘.

Ich kann das nicht, weil ich eine Nummer zu klein bin für meinen Traum und jetzt irgendwann mal zu alt, um mich noch immer wie an einem Fahnenmast dran hochzukurbeln.

Jetzt ist unser schwerstes Jahr vorbei. Und ich möcht‘ gern bekanntgeben, ganz leise, ganz dankbar, ganz demütig, ganz stolz, ganz platt vor Glück:

Ich hab einen Roman geschrieben. Zur Welt gekommen am 3. Juni 2015. Er heißt Ararat.

Allein hätt‘ ich aufgegeben. Aber ich war ja nicht allein. Denen, die mir geholfen haben, mir meinen Traum zu erfüllen, die meinen Roman bis zum Ende begleitet, mir Mut zugesprochen, mit mir geflucht, geheult, geredet, herumgerätselt, phantasiert, verworfen und ganz viel gelacht haben, möcht ich sagen: Ihr habt bei mir was gut. Viel. Und das bleibt offen, bis es eingelöst ist. Wenn wir uns revanchieren können, Ararat und ich, wären wir noch glücklicher, als wir’s sowieso schon sind. Das ist ernst gemeint. Ob ihr ein Bett in London braucht, einen Romancoach oder was wir sonst aufbringen können – wir würden uns geehrt fühlen.

Ihr wart sehr großzügig, mit eurer Zeit, eurer Kraft, euren Gedanken, eurem Humor und eurem Wissen. Und wir haben ohne Ende davon profitiert.

Tausend Dank.

Charlie und Ararat

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Ende Kitsch, alles Kitsch?

Läge der Teufel im Detail, in der sprachlichen Gestaltung, wo ich ihn von je her suche, dann wäre es nicht so schwierig, ihn mit Stumpf und Stiel auszurupfen. Ich habe das jetzt bei der Twelfthnight gesehen: Die Substanz ist in Ordnung. Und stilistisch muss vor allem ausgedünnt werden, dafür könnte ich – wenn mir selbst die Fähigkeit fehlt – zur Not sogar einen Lektor nehmen. Damit habe ich nicht gesagt, eine Neigung zu stilistischen Kitsch-Entgleisungen sei unproblematisch. Das sehe ich nicht so, da ich das ja erlebe, dass meine Kitsch-Ergüsse die andere Seite einer sprachlichen Unfähigkeit ist: Dort, wo mir die Sprache splittert und entgleitet, weil ich ihr nicht gewachsen bin, muss der Kitschpott zum Überkleistern her. Das ist ein Problem und bleibt eines. Bei einem so fetten Buch wie Twelfthnight lässt es sich aber relativ leicht verringern, indem man jede Menge betroffene Szenen streicht oder erheblich verknappt, ohne dass in der Substanz etwas knirscht. Im Gegenteil.
Viel größer ist meine Angst, der Kitsch-Katalysator könnte tiefer sitzen – in der Dramaturgie. Und dass er da bei der Hatti sitzt, weiß ich, wenn ich ehrlich bin, selbst. Heute morgen beim Laufen war mir zum Haare-Ausreißen: Warum habe ich der Hatti dieses Ende geschrieben?
Ich mag solche Enden nicht. Ich habe mehreren meiner Bücher aus kommerziellen Gründen eins geschrieben, und dazu stehe ich. Materielle Zwänge sind materielle Zwänge, da lohnt kein Grübeln, nur Lottoscheinkaufen. Ich habe aber bei der Hatti gar nichts aus kommerziellen Gründen gemacht. Damit kann ich mich nicht rausreden. Ich kann auch nicht behaupten, ich hätte nicht gewusst, was ich da mache, denn dass man solchem Stoff kein solches Ende aufklatscht, habe ich eigentlich schon in Klassenstufe Elf gelernt (mindestens). Mit Kollegen diskutiert hab ich’s auch noch. Vom Aufschrei des medizinischen Berater-Teams ganz zu schweigen.
Mir ist das während des Wartens auf Nachrichten über den tragischen Flug MH 370 wiederum aufgefallen: Mit jedem Tag, der verstrich, versuchte man, mit der Himmelsmacht um ein schrumpfendes Stück Hoffnung zu feilschen: Lass das Flugzeug heil gefunden werden. Lass die Hälfte überlebt haben. Lass eine Arche mit zehn Überlebenden geborgen werden, mit fünf, mit dreien, mit einem einzigen! Dass am Ende der große schwarze Gong kommen würde, haben wir trotzdem gewusst.
Der geht nicht im Unterhaltungsroman. Und den möcht‘ ich im speziellen Fall auch nicht, den fände ich genauso falsch wie meine rosa Torte Moskau. Statt dieser zwei Extreme hat man – finde ich – zwei Möglichkeiten: Entweder man lässt eine Hauptfigur auf einer zerfetzten Tragfläche lebend aus dem Wasser fischen – dann muss man aber im Finalbild die Katastrophe noch einmal zeigen („A Night to Remember“ ist dafür ein gelungenes Beispiel, finde ich). Oder man benutzt das ,Die Karawane zieht weiter‘-Schema, das ich schöner finde. Dann gibt’s nur eins: Hauptfigur opfern. Franz Werfel macht das. Es ist ganz und gar richtig, es ist diese Art Ende, vor dem wir: Nein, schreien wollen, das wir aber hinnehmen und ganz knapp aushalten und das deshalb bei uns bleibt, wenn wir den großen schwarzen Gong erfolgreich verdrängt und die rosa Torte Moskau längst vergessen haben.
Warum habe ich das also so nicht geschrieben? Wenn ich mir jetzt selbst ins Ohr blasen will: „Weil ich nicht Franz Werfel bin“, höre ich mir nicht zu, weil das eine platte (und überstrapazierte) Ausrede ist. Ich bin nicht Franz Werfel, aber ich habe gewusst, wie mein Roman zu Ende gehen muss, auch schon bevor ich ‚Musa Dagh‘ gelesen habe, und ich habe nicht einmal versucht, es so zu machen. Obwohl ich ‚Die Karawane zieht weiter‘ liebe. Und Torte Moskau eklig finde.
Soll ich mich jetzt in der Luft zerreißen? Davon hätte ich wenig. Besser ich fasse mir ein Herz und gebe mir die richtige Antwort: Ich habe das gemacht, weil ich nicht wollte, dass die Geschichte an der Stelle überhaupt zu Ende ist.
Na bitte. So schwer war’s gar nicht, oder? Schön finde ich das nicht. Aber vertretbar, wenn ich mich jetzt nicht um das drücke, was es in Konsequenz bedeutet. Ich muss die Geschichte zu Ende erzählen. Richtig zu Ende. Die Karawane zieht weiter.
Dass damit mein Roman kitschfrei gerät, bleibt zu bezweifeln, aber das gibt mir nicht das Recht, ihm überhaupt nicht die Chance dazu zu lassen. Mir geht es jetzt besser. Ich kann wieder atmen, weil meine Langleitung sich schließlich bereitgefunden hat, sich zu erinnern, dass Kitsch nicht deshalb schlecht ist, weil uns das Lehrer Hempel in Klasse Neun mal so beigebracht hat, sondern weil er falsch ist. Weil er eine Geschichte falsch macht und ihr das Lebendige abdrückt. Das, was bei uns bleiben könnte und sogar (ein bisschen) gegen den großen schwarzen Gong anstinkt, weil wir’s glauben können.
Ganz nebenbei haben sich im Zuge dessen die Probleme mit den zwei Frauen und den zwei Antagonisten von selbst gelöst, und das ist auch nicht verwunderlich. Ich glaube, Du kannst mir jetzt wieder trauen, Ararat. Und mit mir ins Museum gehen.