Aus dem British Museum

Floodtabletcopy

Dies ist nicht nur eines der berühmtesten Objekte des Museums, sondern – finde ich – vielleicht das zauberhafteste, unglaublichste. Mein liebstes, deshalb kommt es als erstes: das Flood Tablet.  Die elfte Tafel des Gilgamesch-Epos, das, als es für die Bibliothek des assyrischen Königs Assurbaniapli um 630 v. Chr. in akkadischer Sprache aufgeschrieben wurde, bereits 2000 Jahre alt gewesen sein mag. Damit gehört es zu den ältesten überlieferten Erzähltexten der Weltliteratur, und dass es uns, wenn wir es lesen, so nah und neu erscheint, ist sein Zauber. Die Geschichten, die wir uns in den 4000 Jahren seither erzählen – auf die eine oder andere Weise finden sie alle ihren Weg zurück zu Gilgamesch, dem König von Uruk, der die Unsterblichkeit sucht, aber seinen geliebten Freund Enkidu verlieren und den Tod erleben muss, um zu lernen, was es heißt, ein Mensch zu sein.

George Smith, der das Tablet 1872 identifizierte und übersetzte, brach darüber in solche Begeisterung aus, dass er sich die Kleider (sämtliche) vom Leib riss und nackt durch das British Museum sprang. (Ich sag’s ja immer: Wer Museen für eine trockene Angelegenheit hält, der kennt unseres nicht.)

Wie der rote Punkt am Flood Tablet signalisiert, ist dieses nicht das Original – das befindet sich nämlich gerade auf Ausleihe in Abu Dhabi. Ich verspreche, ich reiche das echte nach, wenn es wieder zu Hause ist.

Das Flood Tablet wird begleitet von einem Ausschnitt aus Gilgameschs Klage um Enkidu, zitiert nach Professor Albert Schott, für mich das schönste Liebeslied der Weltliteratur. Der großartige Elias Canetti nannte die Klage “eine ungeheure Konfrontation mit dem Tod, die einzige, die den modernen Menschen nicht mit dem bitteren Nachgeschmack des Selbstbetrugs entlässt”.

 

Klagen mögen die Fluren wie deine Mutter!
Weinen möge über dich der Wald, die Zypresse und die Zeder!
…, die wir verwüsteten in, unserem Grimm!
Weinen möge über dich Bär, Hyäne, Tiger, Wisent, Parder,
Löwe, Wildstier, Hirsch, Steinbock, alles Getier des Feldes!
Weinen möge über dich der heilige Ulai-Fluß, an dessen Ufer wir stolz einhergingen!
Weinen möge über dich der reine Euphrat-Fluß,
An dem wir so oft opferten (klares) Schlauchwasser!
Weinen mögen über dich die Männer des weiten Uruk-Gart,
Die wir im Kampf sahen, als wir den Himmelsstier töteten.
Weinen möge über dich der Landmann wegen der Löwen,
Der im frohen Arbeitslied deinen Namen erhob!
Weinen möge über dich … der weiten Stadt, der …,
Der im ersten … deinen Namen erhob.
Weinen möge über dich der Hirte, der…
Butter und Leichtbier recht bereitete für deinen Mund.
Weinen möge über dich 
… 
trug auf auf deinen .. die Butter.

Weinen möge über dich
stellte hin feines Bier für deinen Mund.
Weinen möge über dich die Dirne 
… 
mit Öl salbtest du dich, (und) es gefiel dir.

Weinen möge über dich 
Im Sippenhaus des Gatten einen Ring gab man dir.

Weinen möge über dich 
Die Brüder mögen weinen über dich wie Schwestern!

Deine … seien Klagepriester. .
Ausgerauft seien ihre Haare über dir!
… Enkidu, deine Mutter und dein Vater sind in ihrer Steppe,
Ich weine über dich 

Einen schönen Tag wünschen Charlie und Ararat

Statt meiner Dankesrede als Tennisstar …

Ob das die schönste Woche in meinem Leben ist, hat mich gestern jemand gefragt. Nein, die ist es natürlich nicht, denn ich habe ja einen Mann geheiratet, Kinder geboren und einen Enkel geschenkt bekommen. Und war in Yerevan. Aber davon abgesehen – ja. Das hier ist die schönste Woche in meinem Leben als Geschichtenerzähler, und das verdanke ich denen, um die’s geht. Den Leuten, die mein Buch lesen und mir davon erzählen. Dass Leute es kaufen, ist wundervoll. Dass es sich eventuell (!) finanziell rentieren könnte, ist eine phantastische Vorstellung, wir sind ein großer Haufen, der ständig aus dem letzten Loch pfeift, und Geld bedeutet Zeit (und Yerevan). Aber dass Leute es LESEN, ist das schönste. Dass sie sich bei mir melden, mit mir flirten, mir erzählen, wie es ihnen mit dem Buch ergangen ist – das ist unübertrefflich und borgt uns, Ararat und mir, ein Paar Flügel. Und weil das so schön ist und wir dafür so dankbar sind, haben Ararat und ich beschlossen: Jedes Mal, wenn wir zwei uns einen traumhaften Tag im Museum stehlen, bringen wir von jetzt an euch etwas mit. Ein Stück Vergangenheit, das wir lieben, und ein Stück Text, das dazu passt und das wir auch lieben. In der Hoffnung, dass sich der eine oder andere daran freut. Und da wir gestern einen unserer Museums-Traumtage hatten, geht es heute – gleich – los …

How to handle a novel

Dies hier hat mir gestern eine angehende Kollegin unter einen Beitrag geschrieben – das ist so schön, das muss ich mir stehlen dürfen:

“Aber gleichzeitig, und das ist viel wichtiger, habe ich hier durch deine Leidenschaft für deine Geschichten gerade enorm viel Motivation gewonnen, mich trotz allem durch die letzten Schreibhürden zu kämpfen – weil er es verdient hat, und weil ich ihn liebe, auch wenn ich manchmal so unzufrieden bin mit dem, was mein Geschreibsel aus der Geschichte macht. Aber ohne mich gäbe es sie gar nicht, genauso wie es ohne dich keine Hatti und keinen Ararat gäbe. (…) Und ich geh jetzt mal sofort zu meinem kleinen, ungeschliffenen, verdreckten und trüben Rohdiamanten zurück und versuche, so viel davon zum Funkeln zu bringen, wie es mir nur möglich ist.”

Das gehört bar jeden Zweifels in die Kategorie: Auf welcher Leitung sitzt eigentlich mein schönster Körperteil, dass mein Kopp auf sowas nicht kommt?

Ich habe mir in all den Jahren so viel Verzweiflung, so viel Resignation, so viel Hilflosigkeit über „was macht mein blödes Geschreibsel aus der grandiosen Geschichte?“ geleistet, dass ich das darüber vergessen habe: Ich mag ja der sein, der ihr da und dort eine Ecke abbricht, ihr Risse beibringt und sie in den falschen Kasten ordnet, aber ich bin ihr Archäologe, ich habe sie aus der Erde gescharrt. So wie Hugo Winckler die Tafeln von Hattuša. Ohne mich würde sie zu der vielfach größeren Zahl der Tafeln gehören, die nie einer ausgräbt, die verborgen bleiben.

In den letzten Wochen, als ich in meinem Sumpf aus Kitsch-Cover, verzögerten Vertragsabschlüssen, Misserfolgen, Angst um Hatti, und vor allem einem Text, den ich nicht schreiben wollte, versank, hatte ich des Öfteren den Wunsch, Hatti und Ararat zu verschenken. An einen, der’s besser macht. Einen, der die zwei nicht mit Matsch beschmiert, bis sie selbst vor Kollegen unsichtbar werden, sondern der sie strahlend poliert. Einen, der sie nicht in den Sand setzt.

Aber genau da gehören sie doch hin, oder? In den Sand. In meinen Sand. Ich glaube, „Als wir unsterblich waren“ bringt mir das gerade bei: Es ist ein ganz und gar unglaubliches Gefühl, ein Buch geschrieben zu haben, über das sich lauter wildfremde Leute freuen. Und zu wissen: Ja, das ist mein Buch. Gerade mit seinen Schwächen, über die ich mir diesmal nicht die Haare ausreiße, sondern grinse. Es ist das Buch, das nur ich hätte schreiben können, weil ich diesem wie Hatti und Ararat etwas zu geben habe, das der, der bessere Bücher schreibt, für die drei nicht hat:

Ich bin ja staatlich geprüfter Musical-Hasser, aber das borg‘ ich mir trotzdem aus „Camelot“:

“The way to handle a novel
Is to love him…simply love him…
Merely love him …love him …love him.”

Dem “trüben Rohdiamanten“ der Kollegin wünsche ich alles Gute auf dem Weg!

Wie ein – mein – Roman entsteht

Das Stadium, in dem Ararat und ich stecken, ist das Flirtstadium. Da geht noch alles und nichts muss. Da möchte man unentwegt seinen Kram hinwerfen und mal rasch hinter dem nächsten Busch verschwinden. Da fühlt sich noch jedes Aufwachen an, als könnte der Tag die Welt aus den Angeln heben und sie in eine funkelnde, brandneue Bahn schleudern. Ein so langes Flirtstadium wie mit Ararat hatte ich noch nie. Ararat, langbeinig, schwarzäugig, ist zum Verführer geboren, und vielleicht flirtet er ja noch ab und an weiter mit mir, auch wenn die Phase irgendwann unweigerlich vorbei ist – so wie der Mai, von dem jeder Frühling bekanntlich nur einen hat.

Die Hatti hat das gemacht. Mit mir weitergeflirtet, mir ins Ohr geflüstert, sich mir um den Hals geringelt, sooft ich im Ernst-des-Lebens-Stadium dachte, ich kann nicht mehr weiter. Vielleicht habe ich das deshalb bei der Hatti kaum je gedacht. Eigentlich nur einmal. Und das war der Augenblick, in dem die Hatti mir gezeigt hat, wer sie ist.

Normalerweise sollte der Autor das wohl während des (langen) Vorbereitungsstadiums wissen, in dem das kreuz und quer zusammengeflirtete Material ordentlich (man kann’s auch übertreiben …) in Listen eingezwängt, sortiert und zu Szenenplänen und Personenpark-Inventaren verwurschtet wird. In dem Stadium wird auch die Recherche vervollständigt, was unzählige Gespräche mit unendlich interessanten Menschen beinhaltet, die wie beim Adventskalender dem Roman eine Tür nach der anderen aufstoßen. Dabei lerne ich ihn kennen. So wie zwei sich kennenlernen, die nach einem durchflirteten Frühling noch immer verrückt genug sind, in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen. Wenn dieses Stadium abgeschlossen ist und die ernsthafte Schreiberei, dieses Rien-ne-va-plus-Moment, vor dem ich mich immer grusele, anfängt, ist für gewöhnlich alles „in trockenen Tüchern“ und rundum einzementiert. Dann gibt’s am Gerüst nichts Wesentliches mehr zu rütteln.

Bei der Hatti war’s anders. Die hat mittendrin, nach zwei Dritteln angehäuftem Text, ohne Wimpernzucken zu mir: „Halt mal“ gesagt. „Das, was du da machst, bin übrigens nicht ich.“

„Mir doch egal“, bin ich ihr über den Mund gefahren, „du musst jetzt fertigwerden und basta.“

„As you like it“, hat die Hatti gesagt und mir schon die Hälfte ihres schönen Rückens zugedreht. „Aber wenn du mich küssen wolltest, wo ich wirklich schön bin, müsstest du doch nochmal dein Lebendgewicht aus diesem Stuhl stemmen.“

Sie war grundsätzlich unwiderstehlich, wenn sie so gesäuselt hat, meine Hatti. Also habe ich mich in die Höhe gehievt, und dann haben wir miteinander eine Wahnsinnstat begangen, die Hatti und ich. Und uns gefühlt wie als Kinder beim Grand Coup aller Klingelstreiche.

Aber bei der Hatti war sowieso alles anders. Schön war’s. Sogar die Schreibphase. Es war alles meins.

Was jetzt kommt, ist nicht mehr meins, und das ist gut so. Denn ein Roman entsteht – Gott sei Dank – nicht nur durch das, was ein einzelner sich in seinem Kämmerlein zurechtbastelt. Die Experten und Testleser marschieren auf, wie eben eines Tages die Welt in ein Liebesnest drängt. Nicht lange darauf zieht er mit Sack und Pack aus und hinterlässt Platz für einen neuen. Und daneben eine schmale, tiefe Kerbe, in der steht: „Hattuša. 2013. Hier war ich und hierher kommt keiner.“ In Keilschrift.

Im nächsten Stadium ist der Roman nicht mehr mein, sondern findet seinen Meister, der ihm das Gefieder stutzt und striegelt. Aber irgendwann kommt er noch einmal zu Hause vorbei, und der verlassene Autor darf ein letztes Mal drüberstreichen. Davor fürcht‘ ich mich mächtig. Aber ich freu mich auch ganz unbeschreiblich.

Ich bin so aufgeregt, als stünde wahrhaftig demnächst mein verlorener Liebster vor der Tür: Nächste Woche kommt meine Hatti aus dem Lektorat!

Miss you so much, Hayastan

Beim Durchblättern von etwa 360 Fotos, um eine Auswahl für meine (und Carmens und Lottis und ARARATS) Facebook-Seite zu treffen, die morgen live gehen soll, hat es mich wieder erwischt. Ich muss über mich lachen, mit Klumpen auf dem Kehlkopf: Ich sehe aus, als wollte ich dir in die Augen schauen. Und ich fürchte, das will ich immer noch. Bari gischer, Masis.

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Leserunden “Als wir unsterblich waren”

Wie angekündigt möchte ich hier gern regelmäßig auf meine Leserunden aufmerksam machen – immer mit dem Zusatz, dass ich mich über Teilnehmer sehr freue. Da ich im Ausland wohne, bin ich für Lesungen zu teuer und dafür nicht bekannt genug. Somit sind Leserunden mein einziger direkter Kontakt zu denen, um die sich diese ganze Chose dreht – den netten Leuten, die ihre Zeit, ihre Gedanken und ihr Geld investieren, um meine Bücher zu lesen.

Durch diesen Kontakt wird das, was ich mir in meinem Kopfgewurstel so zurechtgedacht habe, lebendig, wirklich, anfassbar. Meine aufs Papier genagelte Geschichte bekommt eine neue Dimension. Das ist unschätzbar für mich. Und ohne zu hören, was Leser zum fertigen Buch sagen, kann ich nicht beurteilen, was von dem, was ich wollte, gelungen ist, und was in die Hose ging. Bei keinem Roman bisher war mir das so wichtig wie bei diesem, denn „Als wir unsterblich waren“ ist – amüsanterweise wird mir Schlaftüte das erst jetzt klar – das erste von den Büchern, die mich thematisch da hintreiben, wo ich hingehöre. Ob man das im Unterhaltungsroman nun darf oder nicht, es ist ja jeder für irgendein Thema mehr als für andere geboren, und dieses ist meins. Das fühlt sich so gut an wie lange nichts mehr, das mit Schreiben zu tun hat. So sehr „auf dem Weg“.

Dass ich jetzt zuschauen darf, wie „Als wir unsterblich waren“ bei den Lesern ankommt, wird mir jedes Mal helfen, wenn ich meinem „Ararat“ die Hände ins Nackenfell grabe und nicht ganz sicher bin, wo ich ihn anzupacken habe. Es wird mir mehr Sicherheit bei allen Was-geht-und-was-geht-nicht-Entscheidungen geben. Und es wird mir Mut machen. Bücher, über die niemand redet, sind tot, und mit solchen Buchleichen unter dem Schreibtisch schreibt es sich unschön weiter. Bücher, über die Leute reden, sind hingegen die reinsten Claqueure. Die sitzen hinter mir und feuern mich an.

Die erste Runde ist auf www.buechereule.de bereits gestartet, und die Diskussion, die dort anläuft, freut mich sehr, weil sie zeigt, dass Themen und Epoche des Romans nicht nur unproblematisch sind, sondern auf Interesse stoßen. Das ist sehr schön, regt an, baut auf. Weitere Runden starten demnächst auf www.buchcouch-forum.de und auf www.lovelybooks.de, wo derzeit die Bewerbungsphase läuft. Bei allen, die bereits dabei sind, bedanken wir uns herzlich, das Buch und ich.

Prophet auf dem Weg zum Berg

Masis. So heißt er unter Armeniern. Der, den wir Ararat nennen und dem der Legende nach der schöne Armenierkönig Ara seinen Namen gab. Mit seinem Leichnam in den Armen soll Semiramis, machtvolle Königin der Assyrer, am Fuß des Berges gesessen und geweint haben. Der Berg, den ich als unzweifelhaft männlich empfinde, ist in Wahrheit eine Frau: Eine Bergschwester, und dass sie ihr Gesicht fast immer in Wolken hüllt, liegt daran, dass Menschen beschlossen haben, sie müsse von ihrer Schwester Aragaz getrennt werden, weil Bergschwestern nicht allzu glücklich sein dürfen. Aragaz und Ararat hatten sich zu fügen, doch seither zeigen sie den Menschen ihre schönen Gesichter nicht mehr. Eine Legende, die Menschen erfüllt haben: Zwischen beiden verläuft heute eine Grenze. Send her home.

Masisevenclearernohouses

Die junge, sehr schön Englisch sprechende Armenierin, die uns erzählt hat, dass die Bergschwester, die für mich ein Bergbruder bleibt, unter Armeniern Masis heißt, hat auch gesagt: „But mostly we call her – our mountain.“

So möcht‘ ich dich auch gern nennen, Ararat. Nur ein bisschen. Nicht mein Berg, denn das käme mir wie Diebstahl vor, aber mein Lieblingsberg – zumindest im nächsten Jahr, wenn ich dir einen Roman geschrieben und dich bestiegen habe. Daran, dass ich dich – zur Feier meines fünfzigsten Geburtstags – besteigen werde, hege ich keinen Zweifel, seit ich es beschlossen  und begonnen habe, mich vorzubereiten. So etwas klappt bei mir. Meine Beine sind selbstbewusst, marathonerprobt und so schnell nicht ins Stolpern zu bringen. Daran, dass ich dir einen Roman schreiben kann, habe ich in diesen letzten Wochen hingegen wieder erhebliche Zweifel gehegt. Die Frage ist immer dieselbe: Wie kann einer, der etwas derart Entfremdetes schreibt, etwas zu schreiben wagen, das ihm nahe geht? Wie kann einer, der etwas derart Belangloses, Leeres schreibt, die Dreistigkeit besitzen, nach etwas zu greifen, das so viel Gewicht hat? Wie kann einer, der mit enthöhlten Worten um sich schmeißt, darauf hoffen, Worte zu finden, in denen etwas steckt?

Ich hatte Angst, dich anzufassen, Ararat, Masis, Bergbruder, ich hab die noch, wir beide brauchen Zeit. Aber wir kommen uns wieder näher. Ganz langsam, ganz behutsam. Über die Recherche. Ich lese die Prozessakten zum Soromon-Tehlerjan-Prozess und gewinne zwar noch nicht das Gefühl zurück, dass ich diese Geschichte schreiben kann, aber mit jeder Zeile die Gewissheit, dass ich sie schreiben muss. Jetzt habe ich mir doch ein Herz gefasst und heute die Morgenstunden ausgenutzt, um die paar Textbrocken anzuschauen, die vor diesen Wochen – teilweise in Yerevan – entstanden sind. Ich habe mich so gefürchtet, sie könnten an Kraftlosigkeit, an Belanglosigkeit, an Leere der Arbeit gleichen, die ich hinter mir habe. Aber das tun sie gar nicht. Vor meinem Pathos, meinen Superlativen fürcht‘ ich mich auch, weil die gleich neben meiner Fähigkeit zu Belanglosigkeit und Leere hocken, und trotzdem: das ist der kraftvollste Text, den ich bisher geschrieben habe. Der braucht noch viel Arbeit, daran ist noch nichts fertig, aber darin ist Leben.

Das bringt mich zurück zu dir, Ararat. Ganz langsam. Ich glaube, du bist auch als mein Roman so, wie die, mit denen ich meine Besteigung 2015 organisiere, dich beschrieben haben: „Ein freundlicher Berg. Für Anfänger geeignet, sofern sie ausdauertrainiert sind und auch wenn sie ein bisschen Angst haben.“

Schönen Sonntag, Ararat. Masis. Lieblingsberg.

Love, Charlie

Never say never

Guten Morgen im Mai. Hier spricht übrigens die Frau, die noch nie – auch nicht zur Teenie-Zeit der Baum-und-Strauch-Verse – ein Gedicht geschrieben hat.   Hier spricht auch die, die auf Englisch nie etwas anderes als Fachtexte – und höchstens mal ein bisschen was Journalistisches – schreibt.   Vor allem aber spricht hier die, die noch vor einem halben Jahr verkündet hat, sie würde nie – in Worten: NIE – und nicht für den Preis ihres Lebens Kinderfotos ins Internet stellen.   So viel zu nie: Image Das ist ja kein Kinderfoto, gell?   Das sind zwei Dichter.   Genauer gesagt sind das mein jüngster Sohn Raul sowie der grandiose Adnan al-Sayegh, die im Rahmen der Lesung „Writing Mesopotamia“ abwechselnd auf Arabisch und Englisch ein Gedicht lesen, das mein Sohn geschrieben hat. Die Lesung fand statt am Sonntag, dem 27. April, im schönsten Museum der Welt und wurde veranstaltet von Jenny Lewis, Adnan al-Sayegh und dem Department of Middle East. Das Gedicht meines Sohnes heißt „When they believed in us“ und ist dem mesopotamischen Gott Enlil in den Mund gelegt. Es gefiel Adnan so gut, dass er es übersetzen wollte. Da eine Oud-Spielerin die Lesung musikalisch begleitete, wurde darum gebeten, zwischen den einzelnen Gedichten nicht zu klatschen. Bei der Lesung von Adnan und meinem Sohn (dem einzigen nicht volljährigen Dichter) wurde dies nicht eingehalten. Die Zuhörer sprangen einfach auf und klatschten los.   Sollte sich dieser Blogbeitrag nach dem bis zum Überdruss bekannten Gesäusel eines vor Stolz platzenden Exemplars der Gattung Mutti anhören, sei das auf leichter Schulter hingenommen. Es fiele mir äußerst schwer, in Worte zu fassen, wie buchstäblich atemberaubend es sich anfühlte, meinen Sohn und Adnan sein Lied des Enlil lesen zu hören. Nicht weniger atemberaubend war es, Adnan und Jenny ihre eigenen Werke lesen zu hören – allen voran Auszüge aus Adnans fünfhundertseitigem Versepos „Anthem to Uruk“, von dem ich nur hoffen kann, dass sich eine vollständige Übersetzung irgendwann finanzieren lässt. Sehr weit über „atemberaubend“ hinaus ging das Privileg, Jenny und Adnan zu erleben, die auf Arabisch und Englisch aus der Zwölftafel-Version des Gilgamesch-Epos lasen. Ich bin diesem Epos verfallen, solange ich denken kann, ich sammle Versionen und habe mich im letzten Jahr noch einmal heftig und innig in es verliebt. Ich habe etwas Vergleichbares nie (sic) erlebt und ich werde nie (sic) wieder Gilgamesch-Text anschauen können, ohne Jenny und Adnan zu hören, die „Lamentation for Enkidu“ lesen, für mich das schönste Liebesgedicht der Weltgeschichte.   Diese Lesung kam zustande im Rahmen des Workshops „Writing Mesopotamia“, von dem ich – Pathos hin Pathos her – ein bisschen das Gefühl habe, er hätte mir in den letzten Monaten hier das Leben (zumindest aber das Selbstwertgefühl als denkender, schreibender Mensch) gerettet. Dem Talent und der charismatischen Präsenz von Jenny und Adnan beugt sich der hartleibigste Ich-kann-nicht-schreiben-Komplex. Die finale Überarbeitung von Carmens Roman „Hattuša“ und die erste Planungsphase von meinem Roman „Ararat“ haben sich vom Schwung dieses Workshops durch eine ziemliche Wüste schleppen lassen. Und nebenbei habe ich noch gemacht, was ich nie mache. Ein Gedicht geschrieben. Nee, zwei. Auf Englisch.   Wer sich für diesen Workshop interessiert, den bitte ich, sich bei mir zu melden, da wir uns derzeit darum bemühen, ihn im nächsten Frühjahr fortsetzen oder wiederholen zu können. Und wer wissen möchte, was mich daran so hinreißt, den bitte ich, Jenny Lewis und Adnan al-Sayegh zu lesen.

Meine Hattuša

Ach nee, die Hattuša von der Carmen – ach, ist mir doch egal! Unsere Hattuša hat ein Cover, und nach all der demoralisierenden Coverproblematik des Jahres 2014 möcht‘ ich meinem Schöpfer dafür danken, dass es so ein schönes ist. Schön ist daran, abgesehen davon, dass es schön ist, vor allem, dass es zur Hattuša passt. Das Fernglas, das ganz vorn drauf ist, kann mein Verlag (ach nee, der Verlag von der Carmen) gar nicht gekannt haben, aber es lag in Berlin, im Vorderasiatischen Museum, und entdeckt hab ich’s dort an dem Tag, an dem die Hattuša geboren worden ist.

 

Das mag ja Kitsch sein. Aber ist mir doch egal. Ich hab den jetzt nötig. Des weiteren gratuliere ich mir (ach nee, der Carmen), und der Hattuša zu einem Verlag, der tatsächlich den Mut aufbringt, die Worte „Hethiter“ und „Altorientalist“ sowie den sperrigen Namen „Amarna“ in einem Klappentext unterzubringen und obendrein komplett darauf verzichtet, Geheimnisse, die der Autor mühsam versteckt hat, im Voraus zu verraten. Für mich eine Seltenheit. Für zahlreiche Kollegen auch.

 

Dass es ohnehin ein Glücksfall ist, ein Buch wie meine Hattuša (ach nee, die Hattuša von der Carmen) schreiben zu dürfen, dass das Glück nachwirkt und dass wir ohne das vermutlich aus den letzten Monaten nicht ganz heil rausgekommen wären, kann auch noch mal gesagt werden. Das wiegt so viel, dass ich mich vorab beschworen habe: Wenn jetzt der Rest schief geht, schluckst du das, Alte. Und zwar mal ohne zu meckern.

 

Muss ich nun gar nicht.

 

Der Rest läuft auch noch. Die Hatti ist innen und außen die Hatti. Meins (oder das von der Carmen. Ist doch egal. Jedenfalls nichts Fremdes).

 

Und um noch etwas Arrogantes – aber nur meine Privatmeinung – anzufügen: Wenn ich einem Buch von mir (ach nee, von der Carmen) das gönne, dann der Hattuša. Und wenn ich finde, dass ein Buch von mir (ach nee, von der Carmen) das verdient hat, dann die Hattuša erst recht.

 

Ich bin gerade ganz schrecklich nah am Wasser gebaut oder auch dem Nervenzusammenbruch nahe, aber diesmal vor Erleichterung (weil ich tatsächlich den schlimmsten Fall von entfremdeter Arbeit in meiner Berufslaufbahn NICHT mit in meinen Lieblingsmonat nehme, sondern FERTIG bin) und möcht am liebsten vor Dankbarkeit Konfetti oder auch irgendwas Sinnvolles schmeißen und den Primo uomo von meiner Hattuša (ach nee, von der Hattuša von der Carmen) und von meinem Ararat (NICHT von der Carmen) erstickend fest an mich drücken. Und da das alles nicht geht (der Primo uomo von Hattuša und Ararat steht auf Noli me tangere), bedank‘ ich mich stattdessen mit einem Bild des ergriffenen Autors dort, wo der ergriffene Autor jetzt am liebsten wäre, in Armenien, vor dem Kloster Geghard, mit armenischem Osterbrot in den Armen. Küsse den Stein und er wird eine Kirche. Miss you, Hayastan.

 

Habe noch viel mehr Schönes zu erzählen, habe mich noch für viel mehr viel zu Schoenes zu bedanken, verschiebe das aber auf morgen (und als der Herrgott Mai gemacht), bevor ich hier endgültig zerfließe und die Tastatur verkleckere. Danke, toller Verlag, danke, tolle Blogleser, danke, meine Hatti (ach nee, Carmens Hatti, man, ist mir doch egal), die für mich immer noch ein tolles Buch ist, auch wenn sie von mir (ach nee, von der Carmen) ist und schon etliche Wochen vergangen sind.

 

Love,

 

Charlie (ach nee, Carmen. Ach nee, doch nicht)

Geghardbreadandcharlie

Dudukspieler vor weltschönstem Berg

Rauldudukhundundararat1

(Das Duduk spielende Kind ist mein eigenes und hat zur Veröffentlichung seiner Fotografie im Internet sein Einverständnis erteilt. Hund und Berg wurden nicht befragt.)

 

Mit meinem Lieblingsfoto bedanke ich mich bei allen Teilnehmern meiner Verloserei zum Welttag des Buches– ich habe mich so gefreut!

Und gelost haben wir inzwischen auch!

Aus Gründen der Diskretion veröffentliche ich die Gewinner hier nur mit Vornamen, hoffe, die Bücher machen ein bisschen Spaß und bitte herzlich darum, mir per Mail eure Adressen und die Information, ob ich das Buch bekrickeln soll oder nicht, zu senden. Wenn ihr es verschenken wollt, schreibe ich auch gerne Widmungen für Tante Agathe o. ä.. Nur Zusätze wie „für Onkel Rüdiger, der so schön beim Tapezieren geholfen hat“  muss ich schuldig bleiben, denn bei mir war der Onkel nicht (darf gerne kommen!) und mein Haus ist immer noch untapeziert.

Gewonnen haben:

Kains Erben:

Helga & Kerstin

Als wir unsterblich waren:

Cindy & Markus

Im Tal der träumenden Götter:

Tanja

Bitte beachten: Sofort verschickt wird NUR das Buch von der Carmen. Meine sind noch nicht da, gehen aber sozusagen druckfrisch auf die Reise, sobald sie es hierher geschafft haben.

Noch einmal – vielen Dank euch allen! Es hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich’s unbedingt bald wieder machen möchte.

Alles Liebe.

Charlie & Carmen

P.S.: Nur weil uns so viele gemailt haben, sie wüssten nicht, wie man auf diesem Blog kommentiert, und weil wir uns so sehr über Kommentare freuen: Kommentieren kann man, indem man in der oberen Ecke des Postings auf eine kleine Sprechblase klickt.

Und last but not least geht ein fanfarenhafter Dank an die unbezahlbare (und leider auch unbezahlte) Administratorin dieses Blogs, der es – wie man sieht! – tatsächlich gelungen ist, einem an technischer Grenzdebilität leidenden Internet-Phobiker beizubringen, wie man Fotos in ein Posting einschließt. Wenn einer mich fragt – nobelpreisverdächtig!