“Jetzt ist alles Ruhe und Stille”
“Leere, Agda. Leere.”
(Ingmar Bergman: “Abend der Gaukler”)
“Jetzt ist alles Ruhe und Stille”
“Leere, Agda. Leere.”
(Ingmar Bergman: “Abend der Gaukler”)
Ich probier’s starrsinnig weiter:
Eure schönsten Kuss-Szenen wolltet ihr mir gestern gemeinerweise nicht zeigen. (Bis auf Silke – ich bedanke mich!)
Wie stehen meine Chancen mit eurer schönsten Liebeserklärung?
Gebt ihr mir die?
Meine ist, glaube ich, die hier. Die erste, die ich unter meine eigene Haut geschrieben habe, dahin, wo ich einen Schmelzpunkt habe:
“Als er gestorben ist, sahen sie sich sogar ähnlich. Ich habe A. da sitzen sehen, mit B. in den Armen, ich hätte sie beide vor Liebe erdrücken wollen, obwohl B. schon tot war, und ich habe gedacht: Ach, mein Liebster. Irgendwann wirst du genau solch ein vogelknochiger, wattehaariger, zauberhafter Meckerkopf sein wie der da, und das ganze Haus wird kopfstehen, um dir drei Tropfen Joghurt einzutrichtern.”
Tatsächlich ist heute wieder Welttag des Kusses.
Im letzten Jahr habe ich dazu eine Szene aus meiner Hatti gepostet, die erste von mir geschriebene Kussszene, die mir gefiel. Mein erstes von mir selbst geliebtes Liebespaar. Darüber war ich so glücklich, ich hätt‘ sie küssen wollen. Jetzt ist ein Jahr später, mein Liebespaar hat 770 Seiten und etliche Küsse (und nicht nur die) mehr und ich lieb sie immer noch. Meinen Eros-und-Thanatos-Roman, den ich so viele Jahre lang wollte, kann ich jetzt zum Küssen mit unter die Rosen in meinem Garten nehmen. Ich fand schon immer: Es muss von sehr viel Liebe erzählt werden, um das Erzählen von so viel Tod auszuhalten, und Erzählen vom Tod hat ohne Erzählen von der Liebe keine Fallhöhe. So könnt‘ ich dich im Untertitel nennen, my darling Ararat: „Die Weise von Liebe und Tod der Hausfrau Doris Taylor“.
Schenkt ihr mir wie im letzten Jahr zum Welttag des Kusses eure schönsten Liebesszenen, egal ob geküsst oder sonstwie geliebt wird, egal ob hier oder auf Facebook?
Ich würde mich riesig freuen.
Einen Tag zum Küssen wünschen euch Charlie, Hatti und Ararat.
Ich habe furchtbar viel Arbeit, die nicht liegengeblieben ist, sondern sich in Stapeln aufgestellt hat, während ich nichts tat, als Ararat zu schreiben. So etwas habe ich nie gemacht: Arbeit liegenlassen, alles liegenlassen, Stöpsel in Hirn und Ohren stecken, nicht mehr hier sein, wo ich hingehöre, und ein anderes Leben führen, in das ich auch gehöre, gehört habe, denn jetzt bin ich wieder hier und in das andere Leben gehöre ich nicht mehr. Der Platz, den ich darin hatte, hat sich geschlossen und ich muss auf meinen eigenen zurück. Das ist so schlecht nicht. Der Platz, der mein eigener ist, hat mich zurückgenommen wie den Schweine fütternden verlorenen Sohn. Zudem darf ich langsam runterkommen, ununterbrochen meine Ararat-Bildchen rumzeigen, mein noch atemloses Ararat-Gesabbel loswerden und meine Ararat-Parties feiern.
Die Erfahrung ist einzig. Die erregendste Reise meines Lebens. Zeitmaschine. Parallelwelt. Ich aus mir heraus.
Ich schau dich mit offenem Mund an, Ararat, und fühl mich anders mit dir. Neu. Und alt. Mehr wie ich. Und mit Stille in mir. Ein Geschrei, das die ganze Zeit im Hintergrund Du-musst-du-musst-du-musst gedröhnt hat, ist nicht mehr da und ich kann anderes hören. Geräusche, die ich noch nicht kenne. Möglichkeiten. Ich muss nicht mehr. Ich kann. Was ich musste, hab ich gemacht. Ich hab meinen Roman geschrieben. Die Schreibsucht, die eingesetzt hat, als ich zehn war – ist weg.
Mit dem Rest vom Leben kann ich machen, was ich will, Ararat. Dich hab ich ja jetzt. Und so sehr ich dich – höchst amüsiert – als „letzten der großen drei“ erlebe, so sehr fühlst du dich anders an als die zwei übrigen:
Nach jedem schönen Mann, den ich in den Armen hatte, hab ich gedacht: Das will ich nochmal.
Nach jedem Kind, das ich geboren habe, hab ich gedacht: Das will ich nochmal.
Nach dir denk ich: Danke. Das war’s.
Und weißt du was, Ararat? Wenn ich jetzt nochmal zehn wäre und auf dem Computerpapier von Onkel Guido mit Bleistift meinen ersten Pferderoman kritzeln würde, und einer würde mich fragen: Pass mal auf, so kommt es, es dauert vierzig Jahre und das ist der, den du am Ende dafür bekommst, willst du’s machen oder ist es dir das nicht wert?, müsste ich vor der Antwort nicht einmal Luft holen.
I’d take you any day, Ararat.
And I wouldn’t swap you for whatever is on offer.
You are mine.
Ich wollt‘ nur mal leise winken und flüstern:
Ich bin noch da.
Ich habe mir diesen Blog angeschafft, weil ich einen Roman schreiben wollte.
Meinen Roman.
Weil ich so viel Angst vor der eigenen Courage hatte und nicht allein sein wollte mit solchem größenwahnsinnigen Unterfangen: Einen Roman schreiben. Meinen.
Zweifel daran, dass ich das Zeug dazu habe, hätte ich auch in einem guten Jahr gehabt. Aber das, was folgte, war unser schwerstes. Eins, in dem man alles mögliche, aber nicht noch einen Roman, den keiner bestellt hat, brauchen kann.
Mein Roman hat aber nicht losgelassen. Meine Zweifel auch nicht:
Ich kann das nicht, denn ich hab‘s ja bis jetzt nicht gekonnt.
Ich kann das nicht, weil ich gar keine Zeit habe.
Ich kann das nicht, weil ich mir solchen teuren Roman nicht leisten kann.
Ich kann das nicht, weil ich auf dem Zahnfleisch geh, mir den Magen verdorben hab und schon das Nötigste kaum auf die Reihe bring‘.
Ich kann das nicht, weil ich eine Nummer zu klein bin für meinen Traum und jetzt irgendwann mal zu alt, um mich noch immer wie an einem Fahnenmast dran hochzukurbeln.
Jetzt ist unser schwerstes Jahr vorbei. Und ich möcht‘ gern bekanntgeben, ganz leise, ganz dankbar, ganz demütig, ganz stolz, ganz platt vor Glück:
Ich hab einen Roman geschrieben. Zur Welt gekommen am 3. Juni 2015. Er heißt Ararat.
Allein hätt‘ ich aufgegeben. Aber ich war ja nicht allein. Denen, die mir geholfen haben, mir meinen Traum zu erfüllen, die meinen Roman bis zum Ende begleitet, mir Mut zugesprochen, mit mir geflucht, geheult, geredet, herumgerätselt, phantasiert, verworfen und ganz viel gelacht haben, möcht ich sagen: Ihr habt bei mir was gut. Viel. Und das bleibt offen, bis es eingelöst ist. Wenn wir uns revanchieren können, Ararat und ich, wären wir noch glücklicher, als wir’s sowieso schon sind. Das ist ernst gemeint. Ob ihr ein Bett in London braucht, einen Romancoach oder was wir sonst aufbringen können – wir würden uns geehrt fühlen.
Ihr wart sehr großzügig, mit eurer Zeit, eurer Kraft, euren Gedanken, eurem Humor und eurem Wissen. Und wir haben ohne Ende davon profitiert.
Tausend Dank.
Charlie und Ararat
Jetzt ist er weg.
Ausgezogen aus meinem Haus, in das er sich freundlicherweise hat mitschleifen lassen, damit’s mir nach dem Umzug nicht so elend geht. Er war überhaupt immer freundlich. Das ist seine Natur. Still, sehr ordentlich, vollkommen pflegeleicht. Er war mit Langmut gesegnet und hatte ein Herz für alte Tanten – ganz im Gegensatz zu seiner Frau, der das auf die Nerven ging, dass ich immer und überall dabei sein, grinsen und meine Fotos schießen wollte. Mehr als einmal habe ich ihn den Arm um sie legen sehen und gehört, wie er ihr zuflüsterte: „Jetzt lass sie doch. Sie meint es doch nett.“
Ich hab’s nett gemeint. Das hat er mir immer geglaubt, auch wenn dies und das peinlich danebenging. Er konnte nicht lachen. Aber zum Ausgleich hatte er Humor.
Jetzt ist er weg.
Ausgezogen aus meinem Haus, und seine Gang, die ich dringend noch benötigt hätte, hat er mitgenommen. Ich hab ihn verraten, und das fand er nicht nett gemeint. Er hat immer alles allein gemacht, er hat mich nicht gebraucht, nur ich ihn, und das eine Mal, wo es umgekehrt gewesen wäre, habe ich ihn im Regen stehen lassen. Meinen Primo uomo. Meine schöne Frostbeule. How could I?
Als er auf mich angewiesen war, weil er sich ja nun einmal nicht in ihm unzugänglichen Dimensionen verteidigen kann, bin ich eingebrochen wie ein Zahnstocher. Und dass ich nicht vorbereitet war, ist die allerschlechteste Entschuldigung.
Auch wenn ich wirklich nicht vorbereitet war. Erwartet hatte ich, dass Leser mir an den Kopf knallen, ich hätte ihn verherrlicht. Dagegen hätte ich uns beide verteidigt. Und gelacht. Ich verherrliche ihn überhaupt nicht, hätte ich gesagt, er ist herrlich, und um mir das zu glauben, bräuchtet ihr ihn nur mal zwei Wochen lang in euer Haus zu nehmen. Könnt ihr aber nicht. Weil ich ihn nicht hergebe. Meiner bleibt hier, macht euch euren eigenen, ich bin sicher, ihr könnt das besser als ich. Ich habe dreißig Jahre dazu gebraucht.
Nein, Schriftsteller sind nicht verrückt und sie denken auch nicht mit den Verdauungsorganen. Schreiben funktioniert nur anders als Versicherungen verkaufen. Wobei ich das nicht wissen kann. Ich kenne keinen, der Versicherungen verkauft. Wenn ich einen kennen und wenn der mir erklären würde, wie das funktioniert, würde ich womöglich behaupten, er und seinesgleichen seien verrückt.
Wie Schreiben funktioniert, ist nicht ganz leicht zwischen Tür und Angel zu erklären, aber eins habe nach dreißig Jahren sogar ich gelernt: Schreiben funktioniert tausendmal besser mit einem Primo uomo, der sich bereit erklärt, für die Dauer der Romanentstehung ins Haus des Schriftstellers einzuziehen, das gesamte Ensemble im Gänsemarsch hineinzudirigieren und es obendrein anzuhalten, nicht allzu viel Lärm zu machen, benutzte Teller in den Abwasch zu stellen und sich vor der Tür die Schuhe abzutreten. Es funktioniert wie von selbst. Ohne Mitarbeit des Magen-Darmtrakts, und ohne dass es aus dem Herzen tropft. Beim Schriftsteller mag man verrückt dazu sagen. Beim Versicherungsvertreter hieße derselbe Vorgang effizient.
Das hat er mir auch beigebracht, nach dreißig oder eher vierzig Jahren Schreiben: “Schriftsteller” zu tippen und mich zu meinen. Im letzten Abschnitt hatte ich schon wieder Schreibsler getippt und danach Romanproduzent. Habe ich mir verboten. Ich wollt‘ ihn nicht noch einmal verraten. Dich hab ich mit meinem blöden Gestammel vertrieben, mein Schöner, aber deine Geschenke behalt ich. Solange ich kann.
Der Kunde ist König. Aber weißt du, was ich hätte machen sollen, mein verlorener Lieblingsuntermieter? Dich einmal nehmen, obwohl du dich so ungern anfassen lässt, ans Fenster zerren und in die Gegend schreien: Hat sich was. Der Primo uomo dieses Haushalts und sein Schriftsteller rufen jetzt endlich mal die Republik aus.
Er hört mich nicht mehr. Er ist weg, und ich muss unsere Geschichte allein zu Ende schreiben. Ohne mich am Schlüsselloch zu ergötzen, wenn er sich die Zähne putzt, ohne verzückt über die Faltkanten seiner Zeitung zu seufzen und ohne Fotos zu schießen, während er im Garten Croquet spielt. Das wird schon gehen. Er war ja lange genug hier, und er ist unvergesslich. Es wird nur nicht mehr so zauberhaft sein, sich nicht mehr wie Flirten anfühlen. Mehr wie Arbeiten, fürcht‘ ich. Aber wenn ich nicht weiß, wie’s weitergeht, kann ich ja meinen Versicherungsvertreter fragen.
Mein Primo uomo ist weg.
Er hat mir nicht einmal Auf Wiedersehen gesagt.
Das hätte ich an seiner Stelle auch nicht getan.
Ich finde mich erheblich peinlich. Ich hab auch alles andere als einen Grund, um im Dreieck zu springen. Aber in letzter Zeit fahre ich manchmal ziemlich böse auf mich ab.
An der Staffelei stand er jetzt, sein geschmeidiger Rücken Amarna zugewandt. Als sie eintrat, unterbrach sein Kohlestift den Strich, und er drehte sich um. Er hörte schlecht, aber er hörte sie. Was sich über sein Gesicht zog, war schmeichelhafter als jedes Kompliment. Als hätte einer, der seine Tür verschlossen hielt, sie eingeladen, sein Herz zu betreten.
In eigener Sache und aus vielfach gegebenem Anlass.
Da sich in letzter Zeit entsprechende Anfragen häufen und es immer unangenehm ist, negative Antworten zu schreiben, möchte ich hier einmal freundlich darauf hinweisen: Ja, ich lebe in der Hauptsache vom Übersetzen, Ghosten und Lektorieren von Texten und übernehme solche Aufträge sehr gern, sofern ich Kapazitäten habe und für die Textart kompetent bin. Ich arbeite jedoch grundsätzlich NICHT auf Tantiemenbasis, sondern ausschließlich zu einem individuell verhandelten Festpreis (Als Ausnahmen sind natürlich Tandembildungen mit Kollegen möglich). Und nein, ich kann leider auch keinen Kollegen empfehlen, da ich niemanden kenne, der auf Tantiemenbasis Privatkunden annimmt. Das tut mir sehr leid, ich weiß selbst, dass diese Leistungen für Autoren praktisch nicht zu bezahlen sind, aber leider geht es Lektoren, Übersetzern und Ghostern nur selten anders: Für ein ungesichertes Honorar zu arbeiten, ist für die meisten von uns nichts, das wir uns im Entferntesten leisten könnten. Herzlichen Dank für Euer Verständnis.
“The Holocaust is not a redemptive story. The loss is too great to gain any positive meaning out of it.”
Die zwei Sätze, gesprochen von Rob Perks, Lead Curator of Oral History in the British Library, haben mich auf der gestrigen (hervorragenden) Gedenkveranstaltung “Life in a Jar” sehr beeindruckt. Sie auszusprechen, erfordert einen Mut, der sich so selten findet, dass er mich zumindest völlig überrumpelt. Den Mut, einen Schrecken zu ertragen, dem kein Aber folgt. „Nach dem Völkermord zieht keine Karawane weiter“, hat meine kluge Kollegin Angelika Jodl dazu einmal gesagt. Ich denke, wir müssen das wissen, ehe wir wagen, die Hände nach dem Thema zu strecken. Bitternis aushalten üben, ohne süßliche Milderung. Gewiss können wir uns bemühen, einen Funken Licht zu zeigen, als den Rob Perks gestern Menschen wie Irena Sendler bezeichnete, doch wir müssen unter den letzten Punkt Ende schreiben. Nicht Aber. Nicht: Die Karawane zieht weiter.
Ich finde daran nichts Schwarzseherisches, und die gestrige Veranstaltung war keine, in der nicht gelacht, begrüßt, umarmt, geschwatzt und angestoßen wurde. Ich finde es richtig. Eine Tatsache, die anzunehmen, für mich den einzigen Weg darstellt, weiterzugehen, ohne klaffende Zacken der Unerklärlichkeit in die Historie zu schneiden. Ohne aufzuhören, auf der Hut zu sein.