Schriftsteller sein

Rein begrifflich ist das ganz einfach, oder? Ein Schriftsteller ist einer, der Schrift erstellt.

Aber ist einer, der im Abendkurs mit rührender Ungelenkheit schiefe Kannen bastelt, auch ein Töpfer? Bin ich als Mutti, die mit einem Auge auf der Eilübersetzung schnell den Sugo für die Spaghetti versalzt, ein Koch? Noch schöner wäre: Wenn ich auch weiterhin nach jeder Sitzung im Museum in die altorientalischen Abteilungen renne und mich dort eine halbe Stunde lang in Seufzern ergehe, bin ich dann demnächst ein Altorientologe?

Ich habe das nie gekonnt. Von mir als Schriftsteller denken. Ich fand schon das Fremdwort Autor schwierig. Und wenn mir so wie jetzt gerade meine sämtlichen Klötzchentürme einstürzen, erst recht. Hinter Bezeichnungen wie ‚Kritzelhansi‘ oder ‚Schreibsel-Tante‘ fühle ich mich wohler, weil sich schiefe Töpferkannen und versalzene Abendessen dahinter besser rechtfertigen lassen. Uangreifbarer. Zumindest scheinbar. Es fühlt sich so nach „Was habt ihr denn? Ich hab doch gar nichts gesagt“ an. (So wie als Teenager, oder? Wenn man schon selbst über den Schulhof gegrölt hatte, dass man keinen Büstenhalter brauche, konnte kein anderer in der Umkleidekabine mehr: „Sag mal, hast du da echt noch nix?“, fragen …)

Jetzt habe ich in dem sehr lesenswerten Blog einer Kollegin einen Artikel entdeckt, in dem sie mit bestechender Ruhe und Überzeugung erklärt: Schriftsteller sind wir, weil wir schreiben. Und das nicht anders möchten. Unabhängig von schlechten Verkaufszahlen, schockierenden Covers, verschleppten Zahlungen, problematischen Lektoratsbedingungen oder verlorenen Rechten. Ich bin dabei neidisch geworden. Und wütend auf mich. Ich habe – zum ersten Mal, glaube ich – festgestellt, dass ich nicht mich damit in den Boden stampfe (ich bin als Lektor wie als Übersetzer ein ziemlicher Angeber), sondern meinen Roman. Vermutlich lässt mich die Carmen deshalb nicht an ihren. Meiner heißt Ararat, und ich möcht‘ auf ihn nicht stampfen.

Während ich die couragierte, selbstbewusste Erklärung der Kollegin (und den nicht weniger eindrucksvollen Kommentar einer anderen Kollegin) las, ist mir klar geworden, dass ich Ararat mit meinem Gestampf weit mehr verrate, als wenn ich ihm ein scheußliches Cover umhängen lasse, einem verfrühten Lektorat zustimme oder seine Rechte kampflos aufgebe. Wenn ich das hier – wie es aussieht – wahr mache und das KDP-Abenteuer wage, steht mir noch bevor, was all diese ,kleinen Katastrophen‘ in den Schatten stellen könnte: Meine Verkaufzahlen werden derart dramatisch einbrechen, dass ich mich durch kein Rechenexempel wirklich dafür wappnen kann. Was mache ich dann? Nenne ich mich ‚Schmierfritzchen‘ und meinen Roman ‚Rumgekliere‘? Oder komme ich hinter meiner Luschtige-Masken-Sammlung gar nicht mehr vor?

Mein Roman heißt ‚Ararat‘. Er wird keine schiefe Kanne, sondern ein Roman. Er bekommt zu wenig Zeit und leidet unter meinen Niederlagen, aber er wächst jeden Tag. Seinem Figurenpark haben sich ‚meine Butterfrau‘ und ‚Tom, der Reimer‘ zugesellt, wenn ich ihn anfasse, flattert er mir unter den Fingern und mein Herz macht aufgeregte kleine Sprünge. Am Samstag haben er und ich zwei wundervolle, geschenkte (wir mussten da warten …) Stunden in der British Library verbracht und haben uns einen Kaffee geteilt wie ein Liebespaar. Ich will nicht, dass mein Roman Ararat von einem Kritzelhansi oder einem Federfuzzi geschrieben wird, egal wie viele Umkleidekabinen-Teenies entdecken, dass wir ‚da echt noch nix haben‘. Ararat, das verspreche ich dir: Bis du fertig bist, habe ich gelernt, zu sagen, was wir beide sind.

Love.

Charlie

Keilschrift!

Um den Kommentar der berühmten Kollegin, auf deren Besuch ich, um ehrlich zu sein, ziemlich stolz bin, nicht in der Luft hängen zu lassen, habe ich der Versuchung widerstanden und meinen Eintrag vom Freitag nicht editiert. Stattdessen entschuldige ich mich lieber hier für die Verwendung des Wortes „Cuneiform“ statt des im Deutschen gebräuchlichen „Keilschrift“ und bitte, mit zu glauben: Dies war reine Schlamperei, die mir (von Beruf Übersetzer …) leider häufig passiert – mein mit Langleitung ausgestatteter Kopf hat das Wort des auf Englisch gelesenen Buches (das hoffentlich bald auch auf Deutsch erscheint) nicht mit übersetzt. Keinesfalls war es der Versuch, ein lateinisches Fremdwort zu benutzen, um Expertenschaft vorzugaukeln, die nicht vorhanden ist. Als mein Sohn (11) ein wenig traurig berichtete, die meisten seiner Jung-Archäologen-Kollegen (auch 11 und drumherum) wüssten nicht, wo das Königreich Urartu gelegen habe, musste ich (nicht 11) ihm gestehen, dass ich, bevor der Carmen die Hattuša in den Schoß fiel, nicht wusste, dass ein Königreich Urartu existiert hat.  Keilschrift fand ich immer aufregend, weil das, was Menschen so kritzeln, mich eben von je her am Haken hat, aber dabei ist’s bis Hattuša geblieben.

Nebenbei: Keiner der deutschen Experten, die meiner Hattuša-Recherche auf die Sprünge halfen, hat je das Wort „Cuneiform‘ benutzt. Warum auch? Keilschrift ist wundervoll anschaulich und verständlich. Sprachbenutzung, die zwischen Sender und Empfänger bewusst eine Distanz herstellt, habe ich immer als nicht nur leicht affig (was ja in Ordnung wäre), sondern vor allem als kontraproduktiv empfunden. Als junge Berufsanfängerin habe ich mal Gebrauchsanweisungen in drei verschiedene Sprachen übersetzt. Ich hatte die dann in vier Sprachversionen, von denen drei von mir selbst stammten, auf meinem Computer, und verstanden habe ich keine.  Selbstredend liegt das daran, dass ich als Technik-Trottel der Nation durchgehe. Vielleicht gäb’s von solchen Technik-Trotteln ja aber weniger, wenn der Wille, derlei Anweisungen anschaulich und verständlich zu formulieren, größer wäre?

Anyway – der letzte, der an solchen ich-bin-schlauer-und-das-seid-ihr-nicht-Versuchen Interesse hätte, wäre der von mir verehrte Irving Finkel, der das Auffinden von Keilschrift-Tafeln auf hinreißende Weise mit der Kartoffelernte vergleicht und eindrucksvoll vor der Distanz, die Historiker zuweilen zwischen uns und unsere Vorfahren legen wollen, warnt. Irving Finkel geht es in seinen prachtvoll lesbaren Texten wie in seinen Vorträgen und Seminaren darum, Vergangenheit und namentlich ihre Menschen zugänglich zu machen. Nähe herzustellen.  Über sein Lieblingsthema schreibt er in ‚The Ark before Noah‘: „In my estimation the old cuneiform writers have to be inspected with the right end of the telescope, the one that brings them closer.“

Seine Bücher sind solche richtigen Teleskop-Enden. Und historische Romane mag ich, weil sie das, wenn sie wollen, auch sein können. Weil man als Autor diese überwältigende Entdeckung machen und weiter geben kann: Die waren ja gar keine unbekannte, unnahbare, unerklärliche Species. Die waren Leute. Und die sind uns nah. Vor ein paar Jahren hätte ich solchen wie mir, die vor Recherchebeginn nicht wussten, dass Urartu existierte, noch am liebsten verboten, über Urartu zu schreiben. Durch Ausbildung und Berufserfahrung bin ich im europäischen (!) Spätmittelalter und der Renaissance ,zu Hause’ und war lange der Ansicht, dort solle ich dann gefälligst auch meine Geschichten suchen. Die Ansicht habe ich in den Müll geworfen, ins Non-Recycling. Über Urartu bringe ich keinen Boden mit wie über Tudor-England, aber meine Anfänger-Begeisterung, mein Ausflippen über jede neue Entdeckung, meine Ich-will-alles-von-dir-wissen-Verliebtheit und die Frische des Blicks über den Tellerrand schenken mir einen Schwung, der das – denke ich – voll wettmacht. Ich hab das ein bisschen spät, aber dafür gründlich gelernt: Geschichte ist keine Reihe verschlossener Türen mit Aufschrift „Betreten für Unbefugte verboten“, von denen wir nur die eine vorsichtig aufschieben dürfen, für die wir wacker ein Zertifikat erworben haben. Was unsere Vorfahren betrifft, sind wir alle befugt und dürfen jede Tür einrennen, die uns dazu verführt.

Deshalb freu‘ ich mich neuerdings sehr darüber, Kollegen, die ich aus bestimmten Epochen „kenne“, in ganz anderen zu entdecken, und finde ihr Abenteuer so spannend wie meines in Urartu. Und damit habe ich jetzt den Bogen geschlagen, bedanke mich noch einmal bei Andrea Schacht für ihren Hinweis zum Stichwort Cuneiform, sprich Keilschrift, und freu‘ mich auf ihren neuen Roman ‚Triumph des Himmels‘, der in wenigen Tagen erscheint und die Tür zu Jahrhundert Zwanzig aufstößt.

Fröhlichen Sonntag!

Irving Finkels Cuneiform-Liebesbrief

Über die vielen Wünsche, Grüße und Nachrichten zu meinem letzten Geburtstag vor Fünfzig war ich sehr gerührt und bedanke mich herzlich. Ich mache vom Nachdenken übers Schreiben noch eine kleine Weile Pause und verkriech mich in Arbeit, Beisammensitzen mit reizendem Besuch und atemberaubendem anderen (siehe gleich), weil’s mir nach dem Verlust der Twelfthnight-Rechte noch immer nicht gut geht und ich ein bisschen im Wozu-machst-du-den-Quatsch-eigentlich?-Loch feststecke. Mein Enkel (2) reagiert deutlich souveräner, wenn ihm sein Onkel, mein Sohn (11), das liebevoll errichtete Klotztürmchen mit einem Gummi-Auto zum Einsturz bringt …

Umso mehr bedank‘ ich mich mal laut bei meiner Freundin C, die mir mit Bildern von der Leipziger Messe, vor allem aber mit freundlichsten Worten zu meiner (nee, Carmens) Hattuša, um die mir in dieser Bringt-doch-eh-alles-nix-Phase angst und bange wird, kräftig ins Dunkel geleuchtet hat. See you soon!

Und dann ergreife ich wieder die Gelegenheit und empfehle ein Buch, das mir die schwarze Galle wegen der blöden Schreiberei vertreibt: Irving Finkels „The Ark before Noah. Decoding the Story of the Flood“. Irving Finkel, ist Kurator der riesenhaften Cuneiform Tablet Sammlung des British Museum und einer der führenden Cuneiform Experten der Welt. Sein Buch basiert in erster Linie auf den Erkenntnissen, die er aus einem Cuneiform Tablet gewann, nachdem es ihm im Jahr 2009 aus Privatbesitz übergeben wurde. Es ist ein revolutionäres Buch zum Sintflut-Mythos und ein sammelndes, Grund vermittelndes zugleich. Irving Finkel versteht sich darauf, komplexes Material zu sortieren und verständlich darzulegen, er spart seine Person und seine Passion nicht aus, verschreibt sich klar dem Genre „Erzählendes Sachbuch“ und klingt doch nirgendwo populärwissenschaftlich und nach „Die Sintflut leicht gemacht für jedermann.“ Und Irving Finkel kann schreiben. Gott im Himmel, kann der Mann schreiben! Wer hierherkommt, sollte die Gelegenheit nutzen, ihn bei einem seiner Talks und Lectures im Museum live zu hören, es ist ein erstaunliches Erlebnis. Und so unwiderstehlich, wie er erzählt, so schreibt er auch.

In einem Interview mit dem Telegraph wurde Irving Finkel gefragt: „Sie haben doch eigentlich gar kein Buch zum Sintflut-Mythos, sondern einen Liebesbrief an die Cuneiform geschrieben, oder?“ Irving Finkel hat dies ohne Federlesens bejaht. Wer sich für Cuneiform interessiert, sollte sich das, was dieser Champion der weltältesten Schriftform dazu zu sagen hat, auf keinen Fall entgehen lassen. Ich bin durch das Gilgamesch-Epos beim Sintflut-Mythos gelandet und inzwischen süchtig. Aber ich glaube, ich würde dieses Buch auch lesen wollen, wenn mir der komplette mittlere Osten am schönsten Körperteil vorbeiginge, schlicht, weil es so brillant ist.

Hans Scholl

Und weil das alles blöd ist und ich heute keine Lust habe, mich mit meinem eigenen Kram noch länger zu befassen, nutze ich die Gelegenheit und empfehle stattdessen das großartige Buch einer großartigen Autorin:

Barbara Ellermeiers Biographie „Hans Scholl“, gebunden erschienen bei Hoffmann und Campe in 2012, ist jetzt auch als Taschenbuch (btb) erhältlich, und wer es noch nicht kennt, dem möchte ich es furchtbar gern ans Herz legen.

Allein wegen des umfangreichen, bis dato unbekannten Materials, das die Historikerin und Archäologin Barbara Ellermeier ausgewertet hat, hätte das Buch sich unbedingt gelohnt. Vor allem aber lohnt es sich, weil es ein tolles Buch ist. Es ist klug und stimmig aufbereitet, und mit ihrer überragenden Sachkenntnis gewinnt die Autorin das Vertrauen des Lesers. Vielleicht sogar noch mehr gelingt das durch ihr erstaunliches Einfühlungsvermögen und den Verzicht auf Wertung. Als wäre das nicht genug, ist das Buch im Ton so behutsam und schön, dass man es immer wieder lesen möchte. Es meistert die Gratwanderung, Leser abzuholen, ohne sich anzubiedern oder aufzudrängen. Stattdessen bleibt es ganz bei Hans Scholl, um den man am Ende trauert, nicht weil man um einen Menschen wie Scholl eben trauern muss, sondern weil man ihn gekannt hat.

Wer Barbara Ellermeiers Buch gelesen hat, vermag kaum zu glauben, dass sie (Jahrgang 1980) noch so jung ist. Das ist ein Segen – von ihr möchte ich noch viele Bücher lesen.

Little Waterloo – die Hundertste

Heut‘ hab ich Dir nichts zu erzählen, Ararat. Oder besser: Mir wär’s lieber, wenn ich Dir heut‘ nichts zu erzählen hätte. Wir – die Carmen, Du und ich – haben gestern Twelfthnight verloren. Der Verleger gibt eine neue Print-Ausgabe heraus (was für Twelfthnight natürlich schön ist) und will die e-book-Rechte auch haben. Ich habe kurz und wutentbrannt aufgeschrien und dann wie immer klein beigegeben, nachdem mir nahegelegt wurde, dass der Kampf darum zu riskant ist, erst recht für einen, der sein Hauptfamilieneinkommen in der Verlagsbranche erzielt. Gummi statt Rückgrat. Jetzt habe ich nacheinander den Anton, die Hatti und zu guter Letzt Twelfthnight verraten. Und Du bist allein, ohne die dicke, unerschrockene Twelfthnight als Vorhut, die Dir den Weg freirammen sollte. Keine ermutigenden Aussichten.

Schreiben ist manchmal schön. Mit Hattuša war es berauschend schön, und mit Dir ist es schön auf Zehenspitzen, mit einem Finger auf den Lippen. Veröffentlichen ist nicht schön. Für mich nicht. Ich hatte dabei vom ersten Buch an das Gefühl, frontal gegen Stopp-Schilder zu rennen: Bis hierhin und nicht weiter. Was natürlich an mir liegt, denn man könnte so ein Schild ja auch mal aus dem Weg rennen. Rückgrat statt Gummi. Ich habe morgen meinen letzten Geburtstag vor Fünfzig und fühle mich dazu gerade zu alt, zu müde und zu bringt-doch-nichts.

Darf man Kitschromane schreiben, die 1938 spielen?

Natürlich darf man. Man darf ja auch Sülze, Eisbein und gekochten Kohl essen oder sich sein Essen aus Pulvern in bunten Tütchen zusammenrühren. Die Frage ist also eher: Muss man?

Vorab: Ich weiß keine Antwort. Ich will das nicht essen, das weiß ich. Nicht weil es geschmacklos, stillos oder ethisch fraglich sein könnte. Sondern weil’s mir nicht schmeckt.

Wenn mich ein Kitschroman – 1938 oder sonstwann – im Genick packen könnte, würde ich mir hemmungslos einen kaufen. Aber das kann er nicht. Ich kann in La Boheme weinen. Aber nicht über „Er küsste sie zärtlich und voll Verlangen“. Darüber kann ich, wenn’s harmlos ist, ein bisschen lachen. Wenn nicht, ekelt’s mich. So wie Sülze, Eisbein und gekochter Kohl (Tütenpulver nicht. Das ist ja trocken). Einmal hab ich ein Buch mit spitzen Fingern zur Tür hinaus und in meine Recycling-Tonne getragen, weil ich den Kohlgeruch in meinem Haus nicht haben konnte. Mein Mann hat sich totgelacht. Er nennt das Kitschhysterie.

An dem Punkt würde ich mich als Leser meiner eigenen Bücher fragen, wieso der Anti-Kitsch-Sensor eigentlich bei denen nicht ausschlägt. Wieso aus denen so viel Sülze, Kohl und Eisbein ungehindert in die Umwelt sickert. Über die Frage habe ich jahrelang nachgedacht und finde, es gibt eine einfache Antwort: Weil ich nicht das lese, was ich da aufs Papier gekitscht habe, sondern das, was vorher klar und scharf und trocken in meinem Kopf war.

Nun tut das ja keinem weh. Oder nur Kitschhysterikern und die können die Bücher mit spitzen Fingern  in ihre Abfalltonnen tragen, no problem.

Aber 1938?

Ich wollte das nie. Ich will keinen Kitschroman, der 1938 spielt, lesen, und ich wollte auch nie einen schreiben. Es gab aber eine Zeit (und früher hatten wir noch nen Kaiser), da habe ich mich gefragt, worüber ich eigentlich sonst schreiben sollte. Als ich achtzehn war, war ich überzeugt, ich würde nur warten und üben, bis ich die Kraft und die Stimme hätte, um einen Roman zu schreiben, der 1938 spielt. Mit achtundzwanzig dachte ich das – gegen Ungeduld kämpfend – noch immer. Mit achtunddreißig habe ich extrem langsam angefangen, zu begreifen, dass Üben und Warten aus Kohl keinen Rhododendron machen. Und dass ich anderes schreiben muss, wenn ich mit dem Schreiben nicht aufhören kann. Etwas, das keinem wehtut.

Jetzt bin ich achtundvierzig, habe eine ganze Menge Romane, die nicht wehtun, geschrieben, und nicke an den meisten Tagen mit dem Kopf. Manchmal kratze ich noch wie ein Trotzkind da, wo’s wehtut, am Schorf, aber meistens halte ich die Hände still und bin ein Schuster, der bei seinem Leisten bleibt. Dass der Carmen im letzten Jahr ein Roman zugeflogen ist, der Hattuša heißt, war von mir nicht geplant. Auch nicht gewollt. Als ich entdeckt habe, was mit der Hattuša los ist, hab ich der Carmen gesagt, dass wir das nicht schreiben dürfen. Dass wir die Kraft und die Stimme nicht haben, nur Sülze und Kohl. Aber da war Hattuša schon da. Und außerdem hab ich ja die Carmen, damit ich eine hab, die nicht auf mich hört.

Hab ich das wissen können, hätt‘ ich das wissen müssen, dass sowas sich auch in dreißig Jahren nicht totläuft? Dass ich mich, seit wir Hattuša haben, fühle, als stünde ich endlich vor meiner eigenen Tür? Den Schlüssel hab ich auch. Wer A sagt, muss auch B sagen. Zu Weihnachten, im Flugzeug, hab ich meinen Mann gefragt: Was ist 31 plus 7? Er hat’s gewusst, und um das Ergebnis komme ich, glaube ich, nicht herum. Um das, was wehtut.

Nein, ich finde nicht, dass man Kitschromane schreiben soll, die 1938 spielen (und nur um das trotz meiner Um-den-Brei-Rederei klarzustellen: Das gilt für die 1931 spielende Hattuša genauso wie für Ararat). Ich will keinen lesen. Aber ich schreib einen. Ich entschuldige das nicht. Ich weiß keine Rechtfertigung.  Ich sag’s nur. Mein Roman Ararat ist klar und scharf und trocken in meinem Kopf. Das bewahrt mich nicht vor Kohl und Sülze. Ich hab Angst. Mir fehlen Kraft und Stimme. Ich hab den Schlüssel und den Fuß in meiner Tür.

Gattungsnachweis

Pferde haben Equidenpässe. Die dienen zwar nicht zum Nachweis des Eigentümers (obgleich dieser verzeichnet ist), wohl aber zum Nachweis der Zugehörigkeit zur zoologischen Gattung Pferd. Wer keinen Equidenpass hat, ist offiziell kein Pferd und darf mithin auch nicht geschlachtet werden.

Romane haben Exposes. Darin wird zwar auch nicht zweifelsfrei nachgewiesen, wer ihr Eigentümer ist, aber ihre Zugehörigkeit zur Gattung Roman sowie der jeweiligen Unterart triumphal festgelegt. Du bist jetzt ein Pferd, Ararat. Auch wenn die Sache mit der Unterart sich nach wie vor schwierig gestaltet. Ich würde in die Sparte gern Eine Liebesgeschichte zur Zeit des Zweiten Weltkriegs eintragen, aber das ist vermutlich so attraktiv, wie wenn im Equidenpass ‚buckelnder, keilender Trensenverweigerer‘ stünde. Der arme Gaul würde geradewegs in der Lasagne landen. Also habe ich jetzt erst einmal ‚Familiendrama‘ draufgeschrieben, was – finde ich – nach irgendwelchen schütterhaarigen Blondlingen klingt, die dauerlächelnd durchs Vorabendprogramm der Glotzkiste hopsen. Vielleicht streiche ich das wieder aus und lasse einfach ‚Roman‘ stehen. So wie einfach ‚Pferd‘. Und sicherheitshalber setze ich einen Haken in die Box ‚Nicht zur Schlachtung für den menschlichen Verzehr bestimmt‘.

Die Angabe des Namens ist im Equidenpass freiwillig. Ich habe freiwillig ‚Ararat‘ reingeschrieben und mein Herz genossen, das so tat, als würde es mir gegen den Kehldeckel klopfen. So gefühlt hab ich mich zuletzt 1995. Damals schrieb ich unter ‚Angabe des Namens‘: ‚Glencoe, born under a Chestnut Tree‘. Heut ist mein Kitsch mir (wenigstens partiell) peinlicher, also schreib ich nix mit ‚born under‘ und dein Geburtsdatum hab ich auch vergessen, Ararat. Das von Glencoe war der 6. Dezember 1995. Aber der Roman ist nur geschrieben, nie gedruckt worden, so don’t complain.

Die Frage des Eigentümers bleibt die schwierigste. Nicht nur wegen der weiterhin ungeklärten Rechtslage, sondern mehr noch wegen der Carmen. Und meinetwegen. Ich möcht‘ gern, dass in der Sparte „Charlotte Lyne und Carmen Lobato“ steht (was die Carmen möchte, erzähl’ ich lieber nicht). Von verschiedener Seite wird mir nahegelegt, das sei doof, ich solle lieber „Charlotte Lyne schreibt als Carmen Lobato“ reinschreiben. Aber das passt nicht. Wenn ich als die Carmen schreibe, wenn ich das überhaupt kann – wo ist denn dann das, was ich bin, im Ararat?

Darf man beim eigenen, ganz und gar selbstgebastelten Roman etwas, das doof ist, trotzdem machen, weil man’s nicht doof, sondern chic findet? Schließlich dient der Romanpass ja nicht dem Nachweis des Eigentümers. Nur dem Nachweis der Gattung. Pferd, Ararat. Salatbeet. Roman.

Unser Lavash war zu lange gebacken, aber das ganze Haus roch nach Middle East. Und gegessen und gefeiert haben wir‘s trotzdem.

Mein Primo Uomo. Und Lösungen im Wartestand

Für den Begriff ‚Primo Uomo‘ habe ich mich jetzt mal entschieden, weil das nach ‚Di quella pira‘ klingt und nicht diese unsägliche Unsexyness verbreitet wie beispielsweise ‚mein männlicher Hauptdarsteller‘. Als bestünde der geringste Zweifel daran, dass mein Primo uomo männlichen Geschlechtes sei. Es besteht keiner. Ich bin seit geschlagenen sieben Monaten in ihn verliebt, was bei einer, die mit kurz vor fünfzig noch immer ‚Treu sein, das liegt mir nicht‘ pfeift, einen höchst einsamen Rekord darstellt. ‘Mein außerordentlich/eklatant/zum Bäume Ausreißen männlicher Hauptdarsteller’ ginge womöglich, aber nach Deutschunterricht klingt’s immer noch, und wenn ich „Haupt“ schon höre, schrillt mir die absurde Konstruktion „Hauptprotagonist“ in den Ohren – weshalb übrigens „mein Protagonist‘ auch flach fällt. Die Krone der Übelkeit aber erregt ‚love interest‘. He is no love interest. He is mine! (Und auf das Gemecker von der Carmen geb ich gar nichts. Wenn hier heut‘ der Sonntagabendbesuch zum Lavash-Essen einrückt, hat MEIN ROMAN ARARAT ein Exposé. Was geht mich DEIN ROMAN HATTUŠA an? Es sei denn, du möchtest teilen …)

Also beschlossen. Mein Primo Uomo.

Mein Primo Uomo ist ein Problem. Und Probleme, hat hier gerade jemand behauptet, sind Lösungen im Wartestand. Mein Primo Uomo ist vornehmlich ein Problem, weil er – durch Verletzung – auf einem Ohr taub ist und daher keine RAF-Maschine fliegen darf. Ich habe den RAF-Experten beheult, bebettelt, bekniet. Nix zu machen. Er darf nicht. Dass er an Anorexie leidet und ein Jahr über der Altersgrenze liegt, lässt sich knapp acht Monate vor Kriegsausbruch und in der allgemeinen Keine-schlagfähige-Luftwaffe-Panik zur Not unter den Tisch kehren, aber ein taubes Ohr nicht. Gar nicht. Kein Verhandlungsspielraum. Kein Wenn und kein Aber.

Ich habe mich dieser eiskalten Abfuhr gegenüber gefühlt wie mein Enkel (2), der sich in solchen Situationen auf den Boden wirft und der störrischen Welt seine Fäuste verpasst. Traditionell wollen liebende Frauen dem Objekt der Begierde diese Welt ja zu Füßen legen, und ich war in höchster Versuchung, die zu packen und zurechtzubiegen, damit sie meinem Schönen passt. Wen kratzt schließlich, wer vor sechsundsiebzig Jahren in Großbritannien zur Kampfpilotenausbildung zugelassen wurde und wer nicht? Erzähl ich eine Geschichte, die mich seit Wochen allnächtlich seufzen, nach Atem schnappen und mit den Beinen zappeln lässt, oder schreib ich den Besinnungsaufsatz „Warum ich Gutes tun und Böses lassen soll“ in Klassenstufe Neun?

Die Maschine, die ich mit Hilfe des RAF-Experten, der letztendlich alles versaut hat, und meines Sohnes für ihn ausgesucht hatte, heißt Hawker Hurricane. An meinem schönen Primo Uomo auf einer Hawker Hurricane habe ich mich wochenlang hochgezogen (ich bin im hormongeplagten Alter! Ich bin entschuldigt). Die wollt‘ ich ihm und mir nicht nehmen lassen. Und ganz nebenbei wäre mir ohne Hawker Hurricane auch noch das bescheidene Kollateralproblem geblieben, den schönen Mann in Kriegszeiten von London, England, nach Van, Türkei, zu bekommen, wenn der seine Hawker Hurricane nicht fliegen darf.

Mach ich nicht. So basta bäh. Lieber werf ich mich auf den Boden, hau mir die Fäuste kaputt und halt die Hawker Hurricane mit den Überresten meiner Zähne fest.

Dachte ich. Bis mir einer dieser im Roman nicht glaubhaften Zufälle einen tatsächlichen Menschen  vor die Füße schubste, dem genau das passiert ist. Nicht 1938. Aber 2012. Auf einem Ohr taub. Nach Verletzung. Von der RAF nicht tauglich gestempelt. Nachdem der mir erzählt hat, wie sich das anfühlt, solche Maschine, die man aus guten Gründen unbedingt fliegen will, de facto nicht fliegen zu können, weil man selbst keine vollständige und ersatzteilgesicherte Maschine mehr ist, sondern einen Gleichgewichtssinn hat, der verrückt spielt, ist mir klargeworden, dass nicht mein Primo Uomo das Problem ist, sondern sein Autor. Ich. In Neu-Schreibschulen-Deutsch nennt man sowas, glaube ich, einen typischen Fall von Heldenschonung. Und damit nimmt man sich das große Drama, das man inszenieren wollte, selbst.

Den Schlag ins Gesicht wollt‘ ich ihm auf gar keinen Fall verabreichen. Schon bei der Vorstellung zog sich mein Innerstes zusammen, und meiner Kehle entrang sich ein gequältes Winseln. Aber der Jammerlappen bin ich, nicht er, der solche Randwidrigkeiten nonchalant auf einer Schulter wegzuckt. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber bei mir selbst könnte ich es allmählich wissen: Habe ich ein technisches Problem, das sich als unlösbar erweist, kann ich fast sicher sein, dass es in Wahrheit ein dramaturgisches ist.

Übrig blieb mir, wie gesagt, das kollaterale Transportproblem. Doch nach einer mit Mann und Kind über Landkarten und Schiffsrouten verbrachten halben Nacht, hat mir mein Primo Uomo heute früh beim Laufen – noch nonchalanter – erklärt, das übernehme er. Der Mann ist ein Segen. Er ist nicht nur viel zu aufregend, um ‚mein männlicher Hauptprotagonistendarsteller‘ zu sein, sondern vor allem vielseitigst einsetzbar. Er hat nicht nur ein taubes Ohr. Kleptomanie hat er auch.

Let’s go Hawker Hurricaning.

Selbst mit kurz vor fünfzig fasziniert es mich noch, dass man zuweilen bekommt, was man will, auch ohne sich auf Pflasterstein die Fäuste kaputtzuhauen.

Ach und übrigens: Wir haben dann jetzt wohl ein Salatbeet. Einen Roman mit Exposé.

Gemüseanbau für Möchtegern-Bergsteiger

Bitte nicht lachen (oder nicht so laut): Eigentlich sollte dieser/dieses (?) Blog die Überschrift „Wie mein Roman entsteht“ tragen und ausschließlich der nämlichen Thematik gewidmet sein. Eigentlich hatte ich gehofft, mich eines Tages tollkühn umzudrehen und die freundlichen, geduldigen Menschen, die sich hierher verirren, zu bitten, mir doch ein bisschen beim Ziehen zu helfen, beim Herausziehen meines Romans aus dem Kopfgeburtskanal. Und eigentlich hoffe ich das immer noch.

Dass sich hier stattdessen meine Urlaubsplanung, meine Opernbesuche, mein Wetterbericht, meine Hausfrauentipps und meine Klagelieder tummeln, ist eine optische Täuschung. Wirklich! Das sind die Geräusche, die mein Roman beim Entstehen macht, während er nicht entsteht. Noch nicht entsteht. So ein Roman ist ja eine Art Salatpflanze, der man durch emsiges Einquirlen von Knochenmehl in Mutterboden ordentlich aufhelfen kann. Deshalb fahre ich nach Yerevan, lese Taylors „Bright Young People“ und „The Making of Modern London“ von Weightman und Humphries und führe Gespräche über die Selbstbetankung von Bombern, über Freihandzeichnen für Steinbildhauer, über Chiraptophobie und Agliophobie und über Kuratoren, die in U-Bahnschächten den Schlaf von Artefakten bewachen. Deshalb versuch ich morgen noch einmal, mit R Lavash zu backen, vertrödele Stunden, die ich nicht habe, in meinem Lieblingsmuseum, klopfe einer Spitfire (die ich aber gar nicht einsetzen kann) auf die Flanke und höre den zehnten Vortrag über Cuneiform-Reading.

Das ist alles Knochenmehl-Quirlen. Das macht meinen Boden reich.

Ob aber Salat draus sprießt, bleibt, so sehr ich mir auch das Gegenteil beteuere, eine andere Frage. Und wenn ich über die rechtliche Situation des potentiell bleibenden Salats am 27. März ein halbwegs ergebnisorientiertes Gespräch führen will, sollte ich vielleicht zumindest in der Lage sein, eine Dokumentation vorzulegen, die zur Beschaffenheit des ‚Salad in question‘ eine halbwegs relevante Aussage macht. Also habe ich beschlossen, vom heutigen Tag nicht nur eine Stunde, sondern den kompletten Arbeitsmorgen zu stehlen und todesmutig die Splitter in die Hand zu nehmen, die das Exposé zu meinem Roman Ararat werden sollen.

Das Ergebnis könnte man in die Kategorie ‚Wer keinen doofen Tag hat, der versaut sich einen‘ einordnen.

Das Exposé ist schlecht. Dafür, dass es noch nicht einmal ein Exposé ist, sondern nur ein Haufen von Brocken, ist es sogar erstaunlich schlecht. Zu Deutsch: Es ist unbrauchbar. (Dass mich das so wenig schreckt, erlaube ich mir jetzt mal, als gutes Zeichen zu werten.)

Das ist jetzt mein erster Schritt, meine Pilotfolge in der Reihe „Der Berg und ich oder: Wie mein Roman entsteht“: Ein Exposé in die Tonne kloppen und ein neues aus dem Knochenmehl-verwöhnten Boden stampfen. Der Morgen ist  zwar jetzt aufgebraucht, aber da Mann und Kind heute in mein Lieblingsmuseum abwandern (ohne mich!), hab ich auch noch ziemlich viel vom Abend, das ich (ist Kleptomanie ansteckend?) mir zusätzlich stehlen kann, um damit anzufangen. Und damit ich heut‘ Abend noch Kraft übrig habe, schiebe ich jetzt einfach die Arbeit, die ich nicht mag (und die eilt), in der Chaoszone beiseite, und ziehe die, die mir leicht fällt (und die nicht eilt) näher an den Comp und mich. Ich bin heute mein eigenes Hätschelkind. Mit Knochenmehl genudelt. Für Dich, mein schwarzer Schöner. (Gerade hat eine Kollegin erzählt, ,Romane mit Nazi-Hintergrund’ wären der neue Trend. Zwar erzählt mir bisher jeder nur das Gegenteil, aber das wollt‘ ich Dir trotzdem in Dein schönes Muschelohr flüstern. Love you, Ararat.)

Andere nennen das Zeitmanagement. Ich versuch’s mal mit Frühlingserwachen.