Fortsetzung folgt?

War ich der, der nie Fortsetzungen schreiben wollte?

Der, der Fortsetzungen als Wurmfortsätze unrunder Geschichten bezeichnet hat, war nicht ich, oder etwa doch?

Meine Fortsetzung „Ararat“ ist kein Wurmfortsatz, sondern eine Wiedersehensparty. Eine Begrüßungsorgie am Bahngleis, das Zugticket, das man sich auf Pump kauft, weil die Sehnsucht es länger nicht aushält. Meine Fortsetzung „Ararat“ ist das kolossale Staunen: Nicht zu fassen, was aus euch geworden ist!

Nur den, der das lesen soll, wollen wir natürlich nicht draußen stehen lassen, während wir hier drinnen übereinander herfallen und uns in Entzückensrufen („Hach, bist du aber groß geworden“) ergehen. Weshalb es leider allmählich nötig wird, über die leidige Frage: Kratzt das einen?, nachzudenken.

Ich hab mein Liebespaar verlassen, als sie auf halb gepackten Koffern auf dem Sprung saßen, echauffiert, blitzäugig, tapfer ein bisschen Angst verbeißend und sich fest an den Händen haltend. Junge Leute halt – wir zwei gegen Himmel und Hölle und bis ans Ende der Welt. Beide hübsch, beide von der Art, auf deren Wangen alte Tanten Lippenstiftflecken hinterlassen. Meine Augensterne, my two and only.

Jetzt sind sie seit sechs Jahren angekommen, verheiratet, schon in dem Alter, in dem Ehemänner Hüftspeck ansetzen, aber sie kann nicht kochen, er hat Anorexie, und außerdem altern sie beide wie Wein. Sie haben sich ein Haus gebaut, und nun kommt die alte Tante (ich) zum ersten Mal zu Besuch. Die will natürlich vom Keller bis zum Boden geführt werden, in jeden Schrank spähen, unter jedes Bett linsen, sehen, in welchen Ständer er seine nach dem Lesen gefaltete Zeitung steckt und ihr zuschauen, wenn sie die nächste Rolle Klopapier aufhängt.

Die alte Tante arbeitet nicht mehr und wird demnächst samt ihrer Familie Konkurs anmelden müssen. Die alte Tante dreht Kopfkissen um und befühlt Tagesdecken, flötet: „Ich komm‘ mit euch zur Kirche, Kinder“ und drängt sich hinterher noch zum Einkaufen auf, prüft den Kaffeevorrat und will unbedingt die Nachbarn und den Hausarzt kennenlernen. Die alte Tante ist selig. Mit sich und der Welt im Reinen, zum ersten Mal, seit die hier hockt und schreibt.

Schreibt?

Nee, oder?

Womit sich die Lieblingsverwandten Nase und Hintern pudern, schreibt man doch nicht in einen Roman, den man anderen Leuten als höchst mitreißend verkaufen will. Ich fürchte, ich werde der alten Tante mal erklären müssen, dass das außer ihr selbst kein Schweinlein schert, ob ihr glutäugiger Liebling sich die Zähne mit Meersalz putzt und seine zauberhafte Gemahlin ihr Stullenpaket im Museum liegen lässt. Das ist jetzt nicht echt, oder? Trautes Heim, Glück allein, und das Honigkuchenpferd, das vor Stolz darauf platzt, bin – ICH?

Ich bin doch der mit den ganz düsteren, auf Sturm gebürsteten Geschichten voller angebrüteter Leute, die sich nie so verhalten wie der Hund von Onkel Rudis Schwiegermutter. Und jetzt will ich unbedingt aller Welt erzählen, wie zwei sich Opernkarten für Covent Garden bestellen – und die Oper fliegt dann nicht mal in die Luft? Was kommt als nächstes? Alte, ich fürchte, bevor die sich auch noch einen Dackel kaufen oder ihre Steuererklärung ausfüllen, während du tränenblind jauchzend daneben sitzt, müssen all diese hübschen marital-bliss-Szenen RAUS.

Darin war ich immer gut. Ein Klick und ab ins Nirwana.

ABER JETZT?

Ich kann doch nicht meine süße Gewitterhexe, die gegen einen Fleischwolf kämpft, in den Daten-Mülleimer schmeißen und die Kragennadelsammlung ihres Liebsten hinterdrein?

Das geht absolut nicht. Man klaut schließlich seiner alten Tante auch nicht ihr mit Blümchen beklebtes Fotoalbum! Ein bisschen zittrig nehm‘ ich den Finger vom Löschknopf und begreife nach über dreißig Jahren Leben als Kritzler, warum Kollegen eine Datei für Outtakes haben.

Die hab ich dann jetzt wohl auch. Und wie nenn‘ ich die? „Ararat Outtakes“? „Ein Sonntag bei Familie A. Januar 1938/Dezember 2014“? Oder „Wurmfortsatz III Material“?

NEIN.

Kommt nicht in Frage. Hatti und Ararat sind mein Geschenk an mich selbst für sämtliche verbleibenden Weihnachten meines Lebens. Die zwei sind das pure Glück, bringen uns empfindlich nah an den Rand des Ruins, und irgendwann ist Schluss. Dann muss man den Hals auch mal vollbekommen und wieder arbeiten, statt Verwandte zu besuchen.

Ich hab einen Mechanismus eingebaut, der garantiert, dass danach keine Hintertür mehr aufgeht, dass alle guten Dinge zwei bleiben, nicht drei werden (ich versprech euch beiden auch, ich werd euch nie „Dilogie“ nennen, sondern für alle Zeiten Hatti und Ararat). Ich druck mir dann halt meine Outtakes aus und kleb Blümchen zwischen die Seiten. So wie alle guten Tanten, die im Grunde ja wissen, dass hinreißende Liebespaare drei Kreuze machen, wenn die Alte wieder in den Zug steigt – und so schnell nicht wieder kommt.

Solomon’s Song

Es ist schön (sehr schön) ((sehr sehr sehr sehr sehr schön)), meinem Roman Ararat irgendetwas zu schreiben. Aber am schönsten, das gebe ich frei von Schamröte zu, ist es, ihm von der Liebe zu schreiben.

Ich hab so etwas in der Vergangenheit nicht gern gemacht, obwohl ich immer davon schreiben will – von der Liebe, vom Krieg und vom Tod. Die Liebe schrieb sich so schwer. Was ich vom Krieg und vom Tod schrieb, hatte manchmal Ähnlichkeit mit dem, was ich im Kopf hatte. Was ich zur Liebe im Kopf hatte, kribbelte mir zwischen den Schenkeln, ich wollte beim Liebe-im-Kopf-haben immer nie meiner ordentlichen Schwägerin Theresa begegnen, aber auf dem Papier landeten zwei Trau-mich-nichts, die mit klobigen Schritten aufeinander zu strauchelten und wie Roboter nach Körperteilen langten, bei denen ich mich fragte, wo ein Mensch die eigentlich haben soll. Beim Im-Kopf-haben war mir lustig, beim Aus-dem-Kopf-herauszupfen lüstern und beim Aufschreiben verging mir die Lust.

Dabei lese ich das so gern. Bei D.H. Lawrence kann ich mir keine halbe Seite darüber geben, wie ein schöner Mann sich Butter auf ein Brot streicht, um’s mit in ein Bergwerk zu nehmen, ohne auf dem Stuhlkissen zu zerfließen. Dabei wird mir schummrig. Bei mir selbst wird mir schläfrig. Und das hat mich immer traurig gemacht, weil in meinem Kopf nichts vom Schlafen war.

Dann hab ich die Hatti geschrieben und alles war anders.

Und bleibt es.

Jetzt hab ich zwei, die schon zu tänzeln beginnen, wenn sie sich an entgegengesetzten Enden des Raumes gegenüberstehen. Lange ehe sie die Buttermesser zücken. Zwei, die kaum die Köpfe zu heben wagen, weil dann alles zu spät ist. So sehr zu spät, dass die blindlings in meine ordentliche Schwägerin Theresa hineinlaufen würden, weil sie nur Augen, Nasen, Hände, Füße (!) für einander haben. Zwei, die B sagen, lange ehe sie an A auch nur denken. Sie ist schön, und er ist der Schönste, aber wenn sie von ihren Butterstullen auf und einander in die schönen Augen sehen, werden sie so schön, dass es verboten werden müsste. Und in der Mitte ihrer Blickstrecke, da wo’s zusammenprallt, schmilzt ihr Autor. Ich.

Etwas in mir fand schon vor 36 Jahren über Salomons Hohelied, dass Nässe und Duft von Sex etwas vollkommen Heiliges haben. Du bist schön, mein Freund, schön bist du, unser Lager ist grün. Meine zwei, die selbst frisch gewaschen vor Sex stinken, sind mir so heilig wie die schönste Sünde.

Aus meinem Kopf, durch meinen Stift, auf mein Papier und zwischen meinen Lenden bricht ein kleiner Vulkan aus, ehe ich Zeit hab, mich um meine Schwägerin Theresa zu scheren. (Bin ja auch umgezogen … die wohnt nicht mehr um die Ecke)

Jetzt hab ich zwei. Jetzt hab ich so sehr zwei.

Die brauch ich nicht zu schreiben. Die schreiben sich nicht mal selbst für mich, denn um mich scheren die sich so wenig wie um meine Schwägerin Theresa. Die haben nur Augen und Hände, nur Nasen und Füße, nur sich schlingende Schenkel und lechzende Münder für einander. Die machen Liebe auf dem Papier, noch wenn sie ihre Hypothek begleichen, die Trümmer ihrer Parties begutachten und die Bretter mit ihren Butterstullen (er verträgt keine Butter, sie, wenn sie ihn lange ansieht, auch nicht mehr) sehr langsam, sehr lüstern beiseiteschieben.

Ich geh jetzt wieder. Mir nimmt das den Atem und jeden lästigen Rest von Anstand. Die haben Namen wie zwei Zirkusclowns, die zwei. Aber gegen das, was die versprühen, ist ein Pulverfass ein Schminkdöschen.

Erzählt ihr mir auch, wie ihr von der Liebe schreibt, wenn eure zwei (oder drei. Oder sechs) euch lassen?

Wir würden uns freuen. Charlie (gespannt) & Ararat (anderweitig beschäftigt)

Here to stay

Kennt mich noch einer?
Ich bin ganz kleinlaut. Aber diesmal bin ich wirklich hier, um zu bleiben. Und um zu tun, wofür ich den Blog einmal angeschafft habe: Meinem Roman beim Wachsen zuzuschauen und vor mich hin zu erzählen, was uns dabei so an den Hirnen vorbeischwimmt, meinem Roman und mir.
Inzwischen ist uns ziemlich viel passiert.
Wir haben unser Leben in hundertdreißig Kisten verpackt und unser Haus verlassen. „Andere Leute machen das auch“, hatte mein Mann beteuert. Dass wir es machen könnten, einfach in ein neues Haus spazieren und behaupten, das sei jetzt unseres, erschien mir trotzdem völlig unmöglich. Das Haus waren wir. Gemacht haben wir es aber doch. Die Kisten sind leer, die Bücher stehen alle wieder an Wänden, und wir leben immer noch. Und finden uns sogar allmählich wieder.
Die permanente finanzielle Katastrophe verbunden mit der Besessenheit, mir trotzdem einen Roman zu leisten, von dem ich fand, ich müsse ihn schreiben, haben mich – in etlichen Nachtschichten – erstmals gelehrt, wo meine gesundheitlichen Grenzen sind. Daran laboriere ich jetzt mit noch offenem Ausgang. Mich weiter durch Nächte schleppend und um unsere Existenz kämpfend. Aber zuweilen, nie frei von Argwohn, auf einen Lichtblick hoffend. Eine Atempause. Ein Stück Stille mit meinem Roman.
In dem Land, in dem ich in diesem Winter staunen, mich berauschen und arbeiten wollte, ist Krieg. Wann der aufhört, ist fraglich. Und was dann von dem Land noch übrig ist, erst recht. Ich kann mich nicht erinnern, wann mich zuletzt etwas so traurig gemacht hat, so hilflos, so ohne Begreifen. Etwas tun würd‘ ich gern. Wenn das möglich wird, schreib ich’s hier auf. Bis dahin kann ich an das Land zwischen den zwei Flüssen nur denken. Das nützt dem Land nichts. Aber ich tu’s trotzdem.
Tja.
Und dann hab ich noch den Roman.
Selbst einen geliebten Roman kann man ja nicht ständig nur lieben, sondern muss ihn auch schreiben. Muss stinknormale dramaturgische Entscheidungen treffen, muss stinknormal erleben, wie man stinknormal scheitert, wie die Sprache auf dem kleinen Weg zwischen Stirnoberfläche und Papieroberfläche sich stinknormal das Rückgrat bricht. Dabei hat sich’s bei mir dann in der Vergangenheit immer ausgeliebt und ist stinknormal geworden. Aus dem auf die Füße (ach nee, das ist ja schon wieder Ararat) geküssten Lieblingsprojekt wurde das Zeugl, das ich hier eben schreibsel und das meistens nicht ganz, manchmal noch weniger und allzu oft gar nicht gelingt. Lieben – zwischen schönen Männern, vor Leben berstenden Kindern, Rosetta-Steinen, Ishtar-Toren und ersehnten Ländern im Krieg – konnt‘ ich Romane von anderen. Aber nicht meine.
Als ich angefangen habe, meinen Berg-Roman aus meinen Armen und durch meine Bleistiftspitze auf mein Papier zu lassen, war mir klar, dass mir das wieder passieren könnte. Ich habe damit gerechnet. Und versucht, mir einzureden, dass das keine Tragödie ist. Ob’s eine gewesen wäre, kann ich jetzt gar nicht mehr feststellen, denn es ist nicht passiert. Ich lieb ihn immer noch. Ich mache stinknormal Müll mit ihm, aber ich fühl mich nicht stinknormal, sondern immer noch glücklich. Und manchmal frag ich mich, ob ich auf meine alten Tage wohl noch lerne, was Treue ist.
Und was mach ich dann?
Zehn Bände schreiben?
Nein, denn das wäre nicht treu, sondern besitzergreifend (ich wette, ich hab irgendwann mal behauptet, das sei dasselbe …). Wenn er mit mir fertig ist, darf er gehen. Das tut er nämlich sowieso. Zum biederen Ehemann taugt er nicht, sondern ist ein Flirt. Zärtlich und zerstreut. Flatternde Wimpern, flatterndes Herz. Mach dir keine Sorgen, Schöner. Lauf weiter. Wenn du gehst, dann wink ich dir, auch wenn ich weiß, dass du im Grunde schon weg bist und den Kopf nicht drehst.
Ach ja. Verkauft hab ich ihn in der Zwischenzeit. Ob das gut geht, werden wir mal sehen, aber es schien mir für ihn die richtige Entscheidung. Ich möcht‘ ihn in Papier. Ich möcht‘ ihn in den Händen der grandiosen Lektorin, die ich mir nicht hätte leisten können. Ich möcht ihn so schön präsentiert wie seine Schwester, die hier schon fast an der Tür steht. Ich möchte mehr für ihn, als ich ihm hätte geben können. Dass ich ihm auch etwas hätte geben können, was ihm sonst keiner gibt, steht seltsamerweise außer Frage. Aber „ein bisschen Schwund ist immer“. Und vor allem wollte ich das für ihn: einen gesicherten Weg. Eine Tür zur Welt.
Books

Back home

Wenlock

Da ich im Moment nach einem Facebook-Rausch einen Facebook-Kater habe, krauche ich reumütig in meine Höhle zurück und hoffe, hier will mich noch einer. Ein bisschen zeige ich mir selbst die kalte Schulter und ätze „hab ich dir doch gleich gesagt“, aber damit kann ich leben. Ich kenn mich ja. So heiß, wie ich koche, ess ich gar nichts. Ganz richtig zum Freuen ist mir nicht, dazu ist zu sehr Zweitausendundvierzehn und ich bin zu erschöpft. Außerdem mache ich gerade höchst eigenartige Erfahrungen, für die ich Kollegen – ich geb’s wenigstens freiwillig zu – mal unter gefurchten Brauen beäugt habe. Sodass mich die Tatsache, dass ich derzeit nicht so richtig weiß, was ich für die zwei Geschichten, die sich mir ins Herz gefressen haben (ja, ja, ich weiß …), noch tun kann, gelinde in Richtung Wahnsinn treibt. Mir fehlt mein Berg. Dass ich nicht weiß, wie er im Sommer aussieht, ist so falsch.

Aber unerwähnt bleiben soll das hier auf gar keinen Fall, denn es reißt uns an den Schultern hoch und wirft uns wieder in die Laufbahn, und es ist Menschen zu verdanken, die uns ihre Zeit, ihr Geld, ihre Aufmerksamkeit schenken. DANKE! „Als wir unsterblich waren“ und ich (und Wenlock) stehen auf Platz 22 der Bestsellerliste und weinen darüber auch in dieser Woche. Weil das schön ist, einen Erfolg erleben zu dürfen, ohne ein Sieger sein und wie einer gehen zu müssen. 

Wieder in Eile

Etwas in ihrem schönen Mann war ohne Ruhe. Etwas in diesem Heimatlosen, der sich nichts mehr gewünscht hatte, als Land zu besitzen und sesshaft zu werden, schlug keine Wurzeln. Der einzig Übriggebliebene streunte haltlos einsam durch Leere. Manchmal nahm sie ihn so fest in die Arme, dass es ihm wehtat, damit er sie spürte. Er aber starrte an ihr vorbei und gab keinen Laut von sich.

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In aller Eile

ein Gruß von meinem Berg:

„Ich will dich nicht unter einem Schleier von Traurigkeit lieben.“

„Und wenn es anders nicht geht?“

„Dann doch.“

Schönen Samstag wünschen Charlie und Ararat

Masisveryclearnohouses

 

Life copies Literature

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Life copies Literature

In meinem Hattuša-Roman fürchtet sich eine Figur vor hohen Gebäuden. Sie träumt von einstürzenden Felswänden, rennt schweißnass aus dem Film „Metropolis“ und erträgt ihren Tisch im Lesesaal der Uni nicht mehr, weil die Stapel um sie in die Höhe wachsen.

Mein Mann hat heute früh ein Foto von meinem Schreibtisch gemacht und es mir mit der Nachricht ‚Attention, you turn into your character‘, geschickt.

Seither verspüre ich Anflüge von Platzangst.

Schnittstelle

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Noch liegen die einträchtig beieinander. Hattis Kladde, Ararats Kladde und ein Immer-zur-Hand-Buch für beide. Gestern aber habe ich zum ersten Mal gewagt, mich zu fragen, ob das eigentlich geht, dass die so innig, zärtlich und auch ein bisschen verzweifelt ineinander verklammert bleiben.

Man braucht ja kein Chirurg zu sein oder einen Chirurgen zum Bruder zu haben, um zu wissen, dass manchmal geschnitten werden muss, um eine Ordnung im Körper wieder herzustellen. Man braucht auch weder Chirurg noch Chirurgenverwandter zu sein, um zu wissen, dass Schneiden wehtut.

Ob ich schneide, weiß ich noch nicht.

Aber ich glaube, ich muss.

Ich habe die Hatti so geliebt. Ich liebe sie immer noch, was für mich ganz und gar erstaunlich ist, und vielleicht werde ich sie allein dafür – dass sie von mir (ach nee, von der Carmen) ist und ich sie trotzdem so lange lieben konnte – immer weiter lieben.Ich finde sie gelungen. Sie ist eine, die völlig und willig die Forderungen ihrer Form erfüllt, und hineinstopft, was immer ihr gefällt. God bless you, Hatti. Aber an dem, was ich zu verdrängen versucht habe und was in den letzten Wochen trotzdem immer wieder nach oben geschwappt ist, komme ich nicht mehr sehr lange vorbei: Die Form ist zu klein für Ararat. Er passt nicht rein. Und das Gewicht von der Hatti hält ihn am Boden fest. Wenn ich nicht schneide, wenn ich ihn nicht losmache und freigebe, kann er nicht fliegen.

Das braucht so entsetzlich viel Mut. Und an Mut hat es mir als Autor immer gefehlt. In meinen Augen waren Ararat und ich schon Helden, weil wir ohne Verlag zum Festhalten lospreschen wollten. Wir brauchten wenigstens die Hatti zum Festhalten. Ihre Wärme, ihre Kraft, ihr Stehvermögen. Wenn wir uns von der Hatti schneiden, gibt es nur noch uns. Ganz allein. Was wir an Kraft nicht selbst aufbringen, wird nicht da sein. Das schnürt mir die Luft ab. Aber um einen Fünftausender zu besteigen, muss man ja wohl lernen, an einem Mangel an Luft nicht in Panik zu geraten.

Ein bisschen von dem Mut, der mir fehlt, hat mir gestern mein Agent gemacht. Und ein bisschen macht mir Ararats Zustand. Du bist schön, mein Freund, schön bist du, unser Lager ist grün.

Ararat losschneiden heißt auch: Hatti hinter mir lassen, ohne zu wissen, ob ich nochmal einen haben werde, der so genau in meine Arme passt. Das tut am meisten weh. Ich habe mich diese ganze Zeit über benommen, als müsste ich von diesem Roman nie getrennt werden. Ich möcht‘ noch eine Weile hier sitzen und die zwei zusammen streicheln. Meine schönen Geschwister. Ich möcht‘ auch noch eine Weile lang überlegen, wie das technisch gehen soll. Aber dann möcht‘ ich – glaube ich – schneiden. Und weitergehen. Vorwärts. Aufwärts. 

Angst vorm Erfolg

Ein Geständnis:

Als ich sehr jung war – genauer gesagt knapp über dreißig – habe ich schon einmal einen Roman an einen Verlag verkauft. Das war alles sehr schön. Der Verlag passte zum Text, und die Leute, die mich betreuten, waren alle wohlwollend und gewillt, mich aufzubauen und mir Leine zu lassen, wie ich das hinterher nur noch ein einziges Mal (nämlich jetzt!) erlebt habe. Trotzdem fing ich in der Lektoratsphase ein unsägliches Gezerre um – aus heutiger Sicht – kaum relevante Punkte an, die sich bald verselbstständigten und nicht mehr auszuräumen waren. Am Ende blieb uns nur, den Vertrag in beiderseitigem Einvernehmen aufzulösen, was mich mit einer seltsamen Erleichterung erfüllte. Der Freund und Kollege, der meine Schreibversuche von Anfang an begleitet und mir auf dem Weg zum Verlagsvertrag sehr geholfen hatte, war hingegen enttäuscht.

„Weißt du, was mit dir nicht stimmt?“, hat er mich gefragt. „Du hast Angst vorm Erfolg.“

Damals fand ich das hanebüchen. Heute glaube ich, zu wissen, was er meinte.

In den Jahren nach meiner ersten Veröffentlichung im Publikumsverlag habe ich Erfolg verzweifelt herbeigesehnt. Erfolg, das hätte bedeutet: endlich eine Möglichkeit, die unzähligen Stunden Schreiben einigermaßen finanzieren zu können, endlich mehr als viereinhalb Stunden schlafen, endlich einen Urlaubstag ohne Laptop verbringen, endlich ein Monat, von dem nichts mehr übrig ist, wenn das Konto leer ist. Vor allem hätte es bedeutet: Zufriedene Verleger, zufriedene Agentur. Und noch wichtiger – Menschen, die das Buch mögen. A job well done.

Ziemlich bald wurde aus dem Wunsch nach Erfolg die Angst vorm nächsten Misserfolg, wohl wissend, dass jeder davon mich näher ans Aus drückte. Und noch immer nicht wissend, wie man das macht: Leben ohne Schreiben. Aus dem Stoßgebet vor jeder Neuerscheinung – Möge es ein Erfolg werden – wurde: Möge es bitte nicht ganz so fulminant flopen. Daran, dass ich das Buch noch irgendwann schreiben könnte, das da draußen, wo es hinsollte, tatsächlich landet, habe ich nicht mehr geglaubt.

Und jetzt ist es da.

Ein paar Tage lang war das die ganz große Freiheit: Erfolg. Das haben wir jetzt gehabt. Das können wir abhaken und zum nächsten Thema übergehen. Dein erfolgreiches Buch hast du geschrieben, von jetzt an kannst du Schneid beweisen und schreiben, was du willst.

Aber so einfach funktioniert es nicht. Denn jetzt weiß ich, was das ist und worin sie sich begründet, die Angst vorm Erfolg.

Erfolg macht süchtig. Nicht der finanzielle Unterschied, denn ob der sich überhaupt auswirkt, weiß ich noch gar nicht. Aber das Gefühl, ein Buch geschrieben zu haben, das die, die es lesen, mögen. Etwas ausgeschickt zu haben, was angekommen ist. Was mit der Welt Kontakt aufnimmt und mein kleines Zeichen darin lässt, wenn auch nur für einen Augenblick.

Im ersten Rausch dachte ich: Jetzt schreib ich endlich eines nur für mich. Aber nur für mich geht nicht mehr. Das ist, als säße man allein an seinem Feuer und erzählte seine Geschichte den Nachtgeschöpfen, die auf Menschenstimmen gar nicht lauschen. Ich kann mit dem Gedanken nicht umgehen, danach wieder eines zu schreiben, das Kommentare erntet wie „hast dir ja wacker Mühe gegeben, aber …“, „das Buch ist sicher nicht schlecht, nur war’s mir zu anstrengend“ oder gar: „mir hat das keine Freude gemacht.“ Die ganz große Freiheit ist der ganz große Druck: Ich bin jetzt einer, auf dem Erwartung liegt, die er enttäuschen könnte. Nicht nur meine. Auch die von anderen. Das ist ziemlich atemberaubend. Es flößt meinen Fingern, die schreiben wollen, Furcht ein und verlangsamt ihren Lauf.

Und falls jetzt einer glaubt, ich habe diesen langen Salm geschrieben, um meinen Nabel gründlich zu besonnen, hat der vielleicht mehr recht, als mir lieb ist – aber nicht ganz. Mir ist das alles heute beim Laufen durch den Kopf gegangen, weil mir einfiel, dass ich (wie aufregend!) zum ersten Mal einen Roman schreibe, der von zwei Kunstschaffenden (das sind im weitesten Sinne schließlich auch wir Autoren von Unterhaltungsromanen) handelt. Von einem, der gewaltigen Erfolg hat, nach dem er nie gestrebt hat und für den er nicht gemacht ist, und von einer, die voller Ehrgeiz steckt und der jede Chance auf Erfolg zerschlagen wird. Vor allem aber fiel mir dabei ein, dass ich das überhaupt noch nicht thematisiert habe.

Vielleicht weil ich keine Erfahrung hatte – mit Erfolg?

Anyway. Ich gehe zurück ans Reißbrett. Und freu mich daran, dass mein Roman Ararat mir so nah ist. Auch wenn nicht mal der, den ich ganz allein mache, einer „nur für mich“ sein kann.

Das Dilemma des ersten Satzes

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Kennen wir alle, oder?

„Ilsebill salzte nach“, der erste Satz aus Günter Grass‘ „Der Butt“, wurde einst zum schönsten deutschen Romananfang gekürt. Ich finde den auch hinreißend. Aber die krampfhafte Suche nach einem, der auch nur in die Nähe kommt, zeitigt selten Rosen und häufig Stilblüten. Umso schöner, wenn einem einer in den Schoß fällt, von dem man das Gefühl hat, er sei immer dagewesen und es könne keinen anderen geben.

Ararat hatte so einen. Vom ersten Tag an.

Es sollte der werden, der im Kopf dieses Blogs steht: „Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nee, in Paris regnet’s ja jetzt auch.“

Ich liebe diese Sätze. Für mich bleiben die für immer Ararats Anfang. Aber sie passen nicht mehr. Deshalb haben wir jetzt – vorläufig – einen neuen, der nicht so spektakulär ist, und zwar: „Weißt du, was ekelhafter ist, als mit Schweinen zu verkehren?“

Und weil ich über die Bedeutung von ersten Sätzen heute pausenlos nachdenke, möchte ich gern eure kennenlernen. Habt ihr Lust, mir die ersten Sätze eures Work in Progress als Kommentar zu senden? Oder die, die euch am besten gelungen sind? Ich wäre sehr gespannt. Und vielleicht können wir ja am Ende unter uns den schönsten wählen?

Gesegnete Pfingsten, fröhliches Zungenreden, Charlie