Aus dem British Museum

Archtablet

“To a cuneiform scholar the Ark Tablet, if not breathtakingly beautiful, will always be a thing of wonder.”

Das schreibt Irving Finkel, Kurator der Keilschrift-Sammlung des British Museum, über diese Tafel, die analog zum Flood Tablet Ark Tablet heißt. Der Rest seines wundervollen Buches „The Ark before Noah“ singt in demselben Ton. Das Buch ist ein Liebeslied für dieses handtellergroße Stück Ton, diese Zeitkapsel, die er bewahrt und uns zugänglich gemacht hat. Sein Bericht von dem Augenblick, in dem er die Worte „Wand, Wand! Schilfwand, Schilfwand“ Atrahasis …“ auf der Tafel entzifferte und begriff, was er in Händen hielt, ist so voller Zauber, Herzklopfen und atemloser Ehrfurcht, dass ich keine So-lernten-wir-uns-kennen-Geschichte weiß, die daneben nicht verblasst.

Irving Finkel hat um sein Ark Tablet gedient wie Jakob um Rachel – fünfzehn volle Jahre. Douglas Simmonds, ein Museumsbesucher, hatte ihm die Tafel 1985 gebracht, weil er wissen wollte, worum es sich handelte. Er hatte das beschriftete Stück Ton von seinem Vater, einem im Nahen Osten stationierten RAF-Piloten, als Geschenk erhalten, ohne zu ahnen, was für einen Schatz für die ganze Welt er darin besaß. Irving Finkel erzählt, er sei „wobbly with desire“ gewesen, sobald er erfasste, dass ihm eine Version der Sintfluterzählung aus dem Atrahasis-Epos vorlag – einem in Akkadisch abgefassten, babylonischen Epos, das sich bis mindestens 1800 vor Christi zurückdatieren lässt und es also im Alter mit Gilgamesch aufnimmt.

Irving Finkel bestürmte Douglas Simmonds, ihm die Tafel zu überlassen, wie ein Anbeter den Vater seiner Liebsten. Simmonds weigerte sich. Es sollte fünfzehn Jahre dauern, bis er sich schließlich bereitfand, Finkel die Tafel auszuhändigen, sodass der sie entziffern und uns den Inhalt zugänglich machen konnte. Inzwischen steht sie, wo sie hin gehört, im Museum, wo jeder sie sehen kann, ohne dafür zu bezahlen. Wer – wie ich – keine Keilschrift lesen kann, liest am besten Irving Finkels Buch und erfährt mit Erstaunen: Die Arche des Atrahasis – eines „Noah“ von Babylon – war rund …

Das Ark Tablet wird begleitet von einem Ausschnitt aus der Antwort des Uta-napischti, des Überlebenden der Sintflut, an Gilgamesch, aus der zehnten Tafel des Gilgamesch-Epos, zitiert nach Stefan Maul:

Es gibt eine Zeit, da bauen wir ein Haus,

Es gibt eine Zeit, da nisten wir im Nest.

Es gibt eine Zeit, da teilen sich die Brüder ihr Erbe,

Es gibt eine Zeit, da herrscht Hass in Land.

Es gibt eine Zeit, da der Fluss anschwoll und die Flut herbrachte,

Da die Eintagsfliege auf dem Fluss sich treiben lässt,

Da ihr Blick sich auf der Sonne Antlitz richtet,

Doch dann mit einem Mal ist nichts mehr davon da.

Der Verschleppte und der Tote, die sind wie eines Mundes,

Denn nicht mehr können sie das Bild des Todes zeichnen.

Noch nie hat ein toter Mann seine Grüße in das Land zurückgesandt.

Die Unterweltsgötter, die großen, waren versammelt,

Mamitum, die das Schicksal formt, bestimmte mit ihnen das Schicksal.

Sie setzten ein den Tod und das Leben,

Doch nicht taten sie dabei des Todes Tages kund.

Eva

Und nachdem ich euch (und nicht nur euch) monatelang mit meinem (Ararats) Primo uomo vollgesabbelt habe (das mach ich auch weiter), kommt hier die, die ihm die Stirne (und nicht nur die) bietet: Das Bild für Eva, eine Malerin, Ararats Prima donna: 

Image

Se vuol’ ballare …

Image

Jetzt ist sie dann also da, die Twelfthnight, die ich nicht wollte. Das e-book, an dem der ganze Haushalt hier gearbeitet hat, um es selbst herauszugeben, bevor wir Knall auf Fall erfuhren, dass wir Inhaber der Rechte im Grunde nur theoretisch waren. Und dass das e-book ohne uns gemacht wird – ein Buch, das mit uns nichts zu tun hat.

Dabei war ich einmal der vermessenen Ansicht, es sei meines …

Ich hätte das gern gehabt, ich hätte es passend gefunden, und ich finde, es hätte uns zugestanden: Twelfthnight und Ararat. Unsere eigenen Bücher. Dass mir das verweigert worden ist und dass ich nicht in der Lage war, mich dagegen zur Wehr zu setzen, hat mich verletzt. Nicht oberflächlich und schnell heilbar, sondern da, wo ich mich als Urheber meiner Bücher bisher – offenbar naiv – noch immer integer und als „der Entscheidungsträger“ gefühlt habe. Die Erkenntnis, dass das ein Irrtum war, hat etwas in mir verändert. Und dass gleichzeitig in einem anderen Verlag eine Entscheidung über mein Buch getroffen wurde, als hätte ich mit dem Buch nichts zu tun, hat die Veränderung verstärkt. Seither fühle ich mich, als hätte ich mit dem Buch tatsächlich nichts mehr zu tun. Und seltsamerweise tut das überhaupt nicht mehr weh, sondern kommt mir vor wie Ich-wasche-meine-Hände-in-Unschuld: If that’s how you want it – be my guest.

Zwischendurch hatte ich – Gott sei Dank – „Als wir unsterblich waren“, mit dem ich sehr wohl zu tun habe. Und – Gott sei erst recht Dank – die Erfahrung, dass über meine Hattuša, mit der ich ganz und gar zu tun habe, nicht über meinen Kopf hinweg, sondern an meiner Seite und in meinem Rücken entschieden wird. Das macht stark. Das macht aus Traurigkeit Wut. Das ist das Se-vuol-ballare-signor-contino-Gefühl. Und die Entschlossenheit, auf meinen Hinterbeinen künftig stehen zu lernen und Bücher zu machen, die nicht nur aus mir herausgeschwitzt sind, sondern hinterher behandelt werden, als hätte sie kein Esel im Galopp verloren. Sondern als wären’s – unter anderem! – meine. 

Das geht mit Verlag. Wenn beide Seiten es wichtig finden. Dann geht es sogar sehr gut und macht Spass. Es geht aber auch ohne, und das zu wissen, tut gut. Damit geht ein herzlicher Gruß an all die Pioniere des Selfpublishing, die uns da draußen eindrucksvoll und ermutigend beweisen: Wir sind weder die Wasserträger noch die Brunnenvergifter. Wir sind die Quelle. Und wenn es sein muss, sprudeln wir auch ohne den Eimer, der uns hält.

Il chitarrino le suonero!

Danke

Das soll auch in diesem Blog stehen, obwohl ich mich eigentlich auf den von mir bewältigbaren Kleinst-Themenkreis „Mein Geschreibsel und ich“ beschränken wollte. Aber wenn das hier nicht steht, dann ist „Mein Geschreibsel und ich“ so hohl, dass es sich erübrigt, deshalb: Danke, Dr. Kermani. Wer die Rede im Bundestag zum Geburtstag des Grundgesetzes noch nicht gelesen hat, dem empfehle ich, sich etwas Gutes zu tun und es nachzuholen. Wie angenehm, wie tröstlich, wie ermutigend und stärkend, dass es solche Menschen gibt.

Und wie erleichternd, dass jemand das Herz und Schneid hat, dies nicht zu verschweigen, sondern deutlich zu machen, dass es für immer in solche Rede gehört:

„Nein, nicht im Namen  […] auch nur eines jüdischen Einwanderers oder Rückkehrers, der die Ermordung beinahe seines ganzen Volkes niemals für bewältigt halten kann .”  Navid Kermani

The Sky is the Limit

In dieser Woche habe ich einige aufschlussreiche Gespräche über Zukunftsperspektiven geführt. Nicht was das Wetter oder das Haushaltsbudget dieses Landes betrifft, sondern nur in Bezug auf meine Zukunft als Autor.

Der Markt ist schlecht. Wenn man einen Verlag hat, der an einem festhält, muss man dankbar sein. Darüber hinaus Erwartungen zu hegen, ist geradezu vermessen. Am besten, man schreibt einen gemütlichen, ungefährlichen Roman, dessen Thema der Verlag aufgrund gemütlicher, ungefährlicher Kriterien ermittelt hat, in dem gemütlichen, ungefährlichen Stil, den der Verlag einem aus Erfahrung zutraut, schneidet an jeder Ecke ab, was über gemütliche, ungefährliche Grenzen hinausragen könnte, und gibt sich mit gemütlichen, ungefährlichen Zahlen zufrieden. So produziert man keine Bestseller. Aber wenn man einen Flop produziert, ist man zumindest nicht schuld, denn man hat ja gemütlich und ungefährlich getan, was man sollte.

Ein netter Rat. Ich weiß das zu schätzen, ganz ehrlich. Es klingt anders als früher, wo ich an: „Ja, wissen Sie, Frau L, mit Ihren Zahlen ist ja leider kein Staat zu machen“, gewöhnt war. Ich könnt‘ mich jetzt ausruhen. Nicht auf meinen Lorbeeren, aber in meinem Ohrensessel. Noch vor anderthalb Jahren wäre ich über einen solchen Rat ohne Zweifel zutiefst erleichtert gewesen.

Jetzt bin ich vermessen. Gierig. Unverschämt. Ich stelle fest: Ich bin eine Oma, kurz vor fuffzich. Aus dem gemütlichen, ungefährlichen Alter raus. Ich will das Leben gefährlich, rasant, fünftausendeinhundertsiebenunddreißig Meter hoch, sechsundzwanzig Meilen lang, tollkühn, grenzenlos, gewagt und sexy.

Vielleicht sollte ich mir abgewöhnen „vor anderthalb Jahren“ zu schreiben, wenn ich VOR HATTI meine. Ich fahre doch auf die Hatti nicht so ab, weil ich in ihre Themen verliebt bin (wobei das schon Spaß macht – vor allem, nachdem ich überzeugt war, ich hätte diesbezüglich meinen Anteil längst vertilgt). Sondern weil ich sie gewagt und spritzig, originell, übers Ziel hinaus schießend, aufregend und total erotisch finde. Weil sie ein Wagnis ist. Wenn der Markt so übel ist, wenn wir sowieso untergehen, dann möcht ich’s nicht im Ohrensessel, sondern mit fliegenden Fahnen tun. Ich möcht‘ keinen Roman mehr, bei dem ich mir am Ende sage: „Fein, fein, das hast du aber wacker hinbekommen“, sondern einen, bei dem mir das Herz pumpt, während ich in mein eigenes Ohr zischen möchte: „Au warte. Bei dem, was du dir da erlaubt hast, gehst du besser in Deckung.“

Ich will mehr Romane, bei denen ich weiß: Ich habe mit den Lesern nicht meine Schlaftabletten geteilt, sondern meine Endorphine, meinen Pulsschlag, meine wilden, schlaflosen Nächte. Ich gebe ein Stück von mir zum Verriss frei, etwas, das gehasst und geliebt werden darf. Ich möcht‘ keinen Drei-minus-Roman mehr. Kein Never change an at least not crashing system. Als ich meinen sechsten Roman schrieb und mich kläglich schleppte, habe ich in sein Notizbuch gekritzelt: „Vielleicht funktioniert ein sechster Roman nur, wenn man sich fühlt, als wäre es der erste.“

Die Hatti war mein einundzwanzigster Roman. Sie war der erste. Ich will das alles noch einmal von vorn.

Wer auf dem Teppich bleibt, kann keinen Berg besteigen. Ich möchte noch einmal lichterloh brennen, ehe ich mir erklären lasse, wie und warum man das löschen kann.

What made my day (and more)

Leider kann man auf dem von Technik-Doof Charlie gemachten Foto nicht erkennen, wie schön die ist, die Vorschau, und mit dem Verlinken auf die Knaur-Seite ist mein nur hälftig nutzbares Gehirn natürlich erst recht überfordert, aber wie auch immer: Fünf Tage lang war die Welt grau verschleiert, so leuchtend, wie sie sein kann, finde ich sie vermutlich auch morgen noch nicht, aber zumindest wird mir wieder klar, auf welch hohem Niveau ich hier jammere. Whatever happens – die Hatti, die Carmen und ich haben den weltnettesten Verlag. DAS ist unsere Vorschau. Wenn wir uns vier Tage lang kleingemacht gefühlt haben, hat uns gerade einer mit mächtig starken Händen in die Höhe gehoben. Und vielleicht sollten wir das allmählich dann doch mal lernen: dass wir verdammt (sorry) viel Glück haben und in verdammt (sorry) guten Händen sind.

ImageUnver

Wachsen und Schrumpfen

Erholt habe ich mich immer noch nicht. Trotz der grandiosen Hilfe der Kollegen, für die ich mich nicht laut genug bedanken kann. Für mich ist das die schönste Errungenschaft des Internet, das ich nicht immer als unproblematisch erlebe – die Möglichkeit, einsame Schreibtische netzweise zu verknüpfen, um Hilfe zu schreien und Hilfe zu bekommen, bevor man sein Laptop durch die geschlossene Fensterscheibe schmeißt und den Ausdruck zerfetzt.

Durch den sehr schnellen Kontakt mit Menschen, deren Handwerk das Schreiben von Romanen ist, lässt sich ein abwertendes, demoralisierendes Urteil relativieren, einordnen, schwächen. Dafür dass die Hatti und ich trotzdem noch nicht wieder gerade stehen, schäme ich mich ein bisschen. Aber so bin ich eben. Zeit, sich damit abzufinden.

Eine Kollegin, die von derlei Erlebnissen auch ein trauriges Lied singen kann, erzählte, sie würde letztendlich daran wachsen. Das erfüllt mich mit lauter Bewunderung und leisem Neid. Ehrlich gesagt: Ich hab das nicht drauf. Mir fehlt’s da entschieden an Resilienz, wobei ich das Wort nicht missbrauchen wollte (dass ich’s in letzter Zeit inflationär benutze, ist mir schon aufgefallen). Ich wachse daran nicht. Ich schrumpele. Meine Schreibstimme wird von Tag zu Tag kleiner und murksiger. Ich fühl mich zu kurz geraten, um weiter mit den Lesern von „Als wir unsterblich waren“ zu flirten. Selbst mein Gesicht im Spiegel kommt mir trockenpflaumig vor.

Ich mag das an mir nicht. Ich hätte gern zwei leichte Schultern, ich würde gern meinen Roman umarmen und ihm ins Ohr lachen: So what? Was kratzt’s die Eiche? Stattdessen klemme ich mir ein Monokel ins Auge, bis es wehtut, und untersuche ihn kleinlich nach Schäbigkeiten.

Daran, dass meine ersten Bücher bei den Lesern nicht gut ankamen, bin ich gewachsen, denke ich. Ich habe Kritik gesammelt, habe mich daran entlang gearbeitet, habe versucht und geübt. Wenn ich „Als wir unsterblich waren“ mit diesen Büchern vergleiche, atme ich auf und denke: die alten Fehler sind immer noch spürbar, das Buch ist ja schließlich von mir – aber da hat eine Entwicklung stattgefunden. Wenn ich Ararat angesehen habe, in den Wochen vor dem vergangenen Freitag, habe ich sogar gedacht: Aha. Da ist noch ein bisschen Luft nach oben. Ein bisschen Platz, um nach den Sternen zu greifen, und dafür trainiere ich schon mal den Arm.

Jetzt ist mir mein Arm dazu zu kurz. Ein aggressives, abschätziges Urteil ist keine Kritik, an der ich mich hochziehen kann. Ich kann mit dem Fuß stampfen. Ich kann mich auch trotzig auf den Boden schmeißen. Aber dadurch entsteht kein Text. Text entsteht, solange ich im Ohr habe: Was immer schiefgegangen ist, ich trau dir das zu.

Never mind. Ich krieg mich auch irgendwann wieder ein, und einen Zentimeter kleiner kann man immer noch über den Tellerrand schauen. Zum Trost lese ich ein großes Buch – daran wachs‘ ich immer. An dem Gedanken: Es geht. Auch wenn’s bei mir nicht geht. So what. Das Buch ist brandneu, als hätte der Autor – der Schriftsteller und Regisseur Thomas Hartwig – es punktgenau für mich geschrieben (sowas freut mich ja dann wieder diebisch). Es heißt „Die Armenierin“, ist beim SalonLiteraturverlag erschienen und erzählt auf 800 Seiten die Geschichte Armin T. Wegners. In der Ich-Form! Was für ein couragiertes Unterfangen. Und ein geglücktes. Hartwig hat keine Angst vor epischem Atem, er hängt sich aus dem Fenster und macht Ernst mit seinem Buch – da steckt Leben drin, da hält einer nicht damit hinterm Berg, dass er etwas zu erzählen hat. Und dass er erzählen kann und dabei mehr als ein Register ziehen. Sehr empfehlenswert. Auch für Menschen, die weniger monomanisch veranlagt sind als ich und sich schlicht daran freuen, wie eigen, überraschend und kraftvoll man einen biographischen Roman schreiben kann.   

Image