In dieser Woche habe ich einige aufschlussreiche Gespräche über Zukunftsperspektiven geführt. Nicht was das Wetter oder das Haushaltsbudget dieses Landes betrifft, sondern nur in Bezug auf meine Zukunft als Autor.
Der Markt ist schlecht. Wenn man einen Verlag hat, der an einem festhält, muss man dankbar sein. Darüber hinaus Erwartungen zu hegen, ist geradezu vermessen. Am besten, man schreibt einen gemütlichen, ungefährlichen Roman, dessen Thema der Verlag aufgrund gemütlicher, ungefährlicher Kriterien ermittelt hat, in dem gemütlichen, ungefährlichen Stil, den der Verlag einem aus Erfahrung zutraut, schneidet an jeder Ecke ab, was über gemütliche, ungefährliche Grenzen hinausragen könnte, und gibt sich mit gemütlichen, ungefährlichen Zahlen zufrieden. So produziert man keine Bestseller. Aber wenn man einen Flop produziert, ist man zumindest nicht schuld, denn man hat ja gemütlich und ungefährlich getan, was man sollte.
Ein netter Rat. Ich weiß das zu schätzen, ganz ehrlich. Es klingt anders als früher, wo ich an: „Ja, wissen Sie, Frau L, mit Ihren Zahlen ist ja leider kein Staat zu machen“, gewöhnt war. Ich könnt‘ mich jetzt ausruhen. Nicht auf meinen Lorbeeren, aber in meinem Ohrensessel. Noch vor anderthalb Jahren wäre ich über einen solchen Rat ohne Zweifel zutiefst erleichtert gewesen.
Jetzt bin ich vermessen. Gierig. Unverschämt. Ich stelle fest: Ich bin eine Oma, kurz vor fuffzich. Aus dem gemütlichen, ungefährlichen Alter raus. Ich will das Leben gefährlich, rasant, fünftausendeinhundertsiebenunddreißig Meter hoch, sechsundzwanzig Meilen lang, tollkühn, grenzenlos, gewagt und sexy.
Vielleicht sollte ich mir abgewöhnen „vor anderthalb Jahren“ zu schreiben, wenn ich VOR HATTI meine. Ich fahre doch auf die Hatti nicht so ab, weil ich in ihre Themen verliebt bin (wobei das schon Spaß macht – vor allem, nachdem ich überzeugt war, ich hätte diesbezüglich meinen Anteil längst vertilgt). Sondern weil ich sie gewagt und spritzig, originell, übers Ziel hinaus schießend, aufregend und total erotisch finde. Weil sie ein Wagnis ist. Wenn der Markt so übel ist, wenn wir sowieso untergehen, dann möcht ich’s nicht im Ohrensessel, sondern mit fliegenden Fahnen tun. Ich möcht‘ keinen Roman mehr, bei dem ich mir am Ende sage: „Fein, fein, das hast du aber wacker hinbekommen“, sondern einen, bei dem mir das Herz pumpt, während ich in mein eigenes Ohr zischen möchte: „Au warte. Bei dem, was du dir da erlaubt hast, gehst du besser in Deckung.“
Ich will mehr Romane, bei denen ich weiß: Ich habe mit den Lesern nicht meine Schlaftabletten geteilt, sondern meine Endorphine, meinen Pulsschlag, meine wilden, schlaflosen Nächte. Ich gebe ein Stück von mir zum Verriss frei, etwas, das gehasst und geliebt werden darf. Ich möcht‘ keinen Drei-minus-Roman mehr. Kein Never change an at least not crashing system. Als ich meinen sechsten Roman schrieb und mich kläglich schleppte, habe ich in sein Notizbuch gekritzelt: „Vielleicht funktioniert ein sechster Roman nur, wenn man sich fühlt, als wäre es der erste.“
Die Hatti war mein einundzwanzigster Roman. Sie war der erste. Ich will das alles noch einmal von vorn.
Wer auf dem Teppich bleibt, kann keinen Berg besteigen. Ich möchte noch einmal lichterloh brennen, ehe ich mir erklären lasse, wie und warum man das löschen kann.