Die im Wesentlichen fruchtlose Diskussion von gestern hätte mich für gewöhnlich auf Tage entmutigt und gelähmt. Das So-what-Gefühl, das mir stattdessen entgegen grinst und ordentlich Schwung macht, kenne ich so nicht. Natürlich hilft dabei der freundliche Hinweis der Kollegin, die bemerkte, dass andere Autoren sich so viele schwurbelige Darf-ich-Fragen gar nicht stellen, sondern das, was für ihre Geschichte notwendig ist, einfach tun. Aber am meisten hilft, glaube ich, dass ich zum ersten Mal das Gefühl habe, solch ein Autor zu sein – einer, der das, was für die Geschichte notwendig ist, einfach tun kann, weil er weiß, was es ist. Und auch einer, der sich nicht mehr einreden lassen will, seinen eigenen Roman zu schreiben, bedeute zwangsläufig, einen Roman an Lesern, an Menschen vorbeizuschreiben.
Faszinierenderweise sind die, die anderen das einreden möchten, zumeist die, die darauf beharren, sich die Bücher zu schreiben, die sie selbst gern lesen würden. Die haben sich selbst den Gütestempel ‚Staatlich geprüfter Lesegeschmack‘ verliehen, der mir fehlt. But so what? Der ist ja kein Rollsiegel, sondern höchstens ein Klebeschildchen, das ich mir mit ein bisschen mehr Courage auch aufkleben kann. Ich möcht‘ mir auch ein Buch schreiben, das ich selbst gern lesen würde. Das meine Freunde gern lesen würden. Das, was ich in dem bisschen gestohlener Zeit, zusammenkritzele, macht mir solche Freude, dass es unmöglich völlig danebenliegen kann. Wozu habe ich eigentlich zehn Jahre lang die Literaturen dreier Kulturkreise studiert und zwanzig Jahre lang mit wenig mehr als Literatur gearbeitet, wenn ich noch immer jedem erlaube, mir einzureden, ich hätte von dem, was Menschen lesen, keine Ahnung?
Ich trau mir das jetzt mal zu. Zu wissen, dass ich das lesen möchte und dass ich es so schreiben kann, dass andere es auch lesen möchten. Zu wissen, dass es nicht nur einen Weg zur Leser-Seligkeit gibt – und zwar einen, der mir gar nichts sagt und mich nicht selig macht. Ich teile mein kleines Haus mit zehntausend Büchern, sodass wir Menschlein uns dazwischen klein wie Bonsais machen. Im Studium habe ich am Monatsende meinen Mann gefragt: Essen wir heute Hardcover oder Paperback? Wieso bin ich kein Leser? Ich hab zudem den absoluten Massengeschmack. John Steinbeck, Graham Greene, Philip Roth und Ernest Hemingway reißen doch nicht weniger Leute vom Hocker als Diana Gabaldon! Ich lese gern Christoph Ransmayr und Andrea Schacht, Julia Kroehn und Nagib Machfus, Conan Doyle und das Gilgamesch-Epos. Für mich passt das prima. Ich finde, mein Geschmack ist groovy.
Ich mache Zweitausendundvierzehn zu meinem Alles-ist-erlaubt-Jahr: Ich darf Ossip Mandelstam lieben und mich auf einen neuen Krimi von Volker Kutscher freuen. Ich darf ‚Ulysses‘ in den Mund nehmen, ohne mich danach im Erdloch für Freaks zu verkriechen. Ich darf wissen, dass ich nicht Joyce bin und trotzdem darüber nachdenken, was ich mir von Joyce gern mal ausborgen würde. Ich darf glauben, dass ich und meine Freunde Leser sind. Ich darf ein Buch schreiben, das mir selbst gefällt.
Fröhlichen Tag, Ararat. Ich setz‘ mich heut‘ Abend mit Dir ein bisschen zum Säuseln in den Garten und finde dich so sexy wie einen schönen Mann im Webpulli.
Love,
Charlie
Liebe Charlie,
>Ich darf glauben, dass ich und meine Freunde Leser sind. Ich darf ein Buch schreiben, das
>mir selbst gefällt.
dieser Gedanke ist so klar und einfach, dass ich mich frage, warum ich diesen Zusammenhang eigentlich noch nie so deutlich gesehen habe. Danke!
Herzliche Grüße
Sabine
Ehrlich gesagt – mir ist der auch gestern zum ersten Mal gekommen, nachdem mir mal wieder jemand intensivst erklaert hatte, was Leser wollen und was ich wolle, haette in etwa so viel miteinander zu tun wie Kuehe und Konzertfluegel …
Irgendwie haben wohl ziemlich viele von uns auf ihren Augen Tomatenfarmen …
Froehliches Ernten!
Herzlich,
Charlie
Ich bin überzeugt, das wird jetzt ein gutes Zwanzigvierzehn, wo die roten Früchte endlich gepflückt sind…
Die wachsen nur leider so schnell nach, Anke … aber man kann ja Sugo draus kochen!
Menno, ich dachte, du hast die nicht nachwachsende Sorte gebucht… Aber leckere (immer frische) Sauce hat ja auch was.
Fröhliches Jerewan sag ich schon mal…
Vielen Dank!
Leider muss ich heut und morgen noch arbeiten … aber es wird allmaehlich wirklicher …
Schoenen Abend!
Hallo Charlie, ich habe endlich auch Deinen Blog gefunden und hier kommen Grüße von Lese_gerne von Lovelybooks. Wenn es zu “Als wir unsterblich waren” eine Leserunde gibt bin auch auf jeden Fall dabei – auch mit meinem eigenen Exemplar 🙂
Viele Grüße von Tanja