Das Problem mit der Eigenwerbung …

Noch eine Woche. Dann habe ich meinen Traum vom Buch in der Welt.

Wie ich der Welt zeigen will, dass er da ist, habe ich fast zwei Jahre lang geplant. Ich habe mich informiert und beraten lassen, habe Geld ausgegeben und Zeit investiert, habe mich auf virtuellen Parketten ausprobiert, die mir noch immer nicht geheuer sind, und mit erfahrenen Menschen zusammen einen Plan erstellt.

Ich wollte das machen. Ein Buch, über das niemand spricht, ist ein totes Buch, und ich möchte, dass meines lebt.

In den letzten Tagen merke ich aber, dass ich mich zunehmend unwohl fühle – und inzwischen wie einer, der durch Kriegsgebiet rast und: “Kauft Coca-Cola”, schreit.

Das möchte ich nicht. Deshalb stelle ich das Bild ein, das mein Mann vom Genozid-Mahnmal in Yerevan gemacht hat, wünsche mir, dass das Feuer ein bisschen Licht schenkt, und erlege der Werbung drei Tage Pause auf. Leicht fällt mir das nicht. Es ist die heisse Phase, laut Plan müsste ich wie verrückt rödeln, und ich habe beim Schweigen Angst um mein Buch. Trotzdem geht es nicht anders. Wenn ich mein Buch ernst nehme, kann ich in die verstörte, betretene Stille nicht länger Coca-Cola schreien. Das ist respektlos. Nicht nur meinem Buch gegenüber. Beileibe nicht nur.

Alles Liebe von Charlie

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Für Clausnitz. Für überall.

Das Kind am Tresen stieß im Schlaf einen Laut aus wie ein kleines Tier. Wilma ging zu ihm und zog ihm eine Decke bis an den Hals. „Die Leute stehen vor den Konsulaten Schlange, um Visa zu bekommen, ganz egal, wohin. Eva hat im Grunde gar keine Chance mehr, schon gar nicht jetzt, wo die Herren Saubermänner in ihrem Schweizer Luxushotel entschieden haben, dass deutsche Juden nicht ihr Problem sind.“

„Was für Saubermänner im Luxushotel?“, fragte Paul.

„Lebst du eigentlich hinterm Mond?“, schnauzte Wilma ihn an.

„Nein. Mit dem Kopf im Sand.“

„So sieht’s aus“, sagte Wilma. „In diesem Luxushotel in Evian saßen Diplomaten aus zweiunddreißig Ländern, um gönnerhaft darüber zu befinden, ob die Gemeinschaft der Völker vielleicht ein paar Verfolgte mehr aufnehmen könne. In so großen, leeren Ländern wie Australien zum Beispiel. Aber die großen, leeren Länder sehen keinen Anlass, sich deutsche Probleme an ihren großen, leeren Hals zu holen, und in die inneren Angelegenheiten des Herrn Hitler mischt sich niemand ein. Hitlers innere Angelegenheiten, das sind meine Freunde: Eva Löbel, Yva Neuländer-Simon, mon petit chou, die gerade fünf Jahre alt ist. So oft wie mir zum Kotzen ist, wundert´s mich, dass ich noch kein Strich in der Landschaft bin.“

Wilma trat zum Wandbord und schnappte sich eine Flasche mit ihrem tödlichen Anisschnaps. Sie schenkte sich ein Glas ein, goss sich den Inhalt in die Kehle und stieß auf. „Willst du auch?“

Paul nickte. „Auf dieser Konferenz ist also entschieden worden, dass die Länder ihre Quoten nicht erhöhen?“

„Der Stürmer hat getitelt: Juden zu verkaufen. Wer will sie? Keiner.“ Ehe sie ihm ein Glas brachte, füllte sie sich ein zweites.

Beim Geruch der Flüssigkeit verhärtete sich sein Magen. „Was sagt Eva dazu?“

„Nichts“, erwiderte Wilma. „Die hat auch den Kopf im Sand. Die Ostjüdin mit den drei Blagen, die hier in der Straße herumstreicht und bettelt, ist schlauer. Der haben sie den Mann verschleppt, seither sammelt sie sich ihr Brot aus dem Müll. Warum sind Sie denn noch hier?, hab ich sie angebrüllt, weil mir das an den Nerven zerrt, diese hohläugigen Kinder mit den klapprigen Gliedern. Und sie hat in ihrem komischen Deutsch gesagt: Weg kann, wer hat Geld. Und jetzt bald auch nicht mehr der.“

Ararat – “Und sie werden nicht vergessen sein”. Knaur Taschenbuch, 1. März 2016

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