Sieben Tage später feierten sie Hayats Aqeeqah. Sie schoren ihr den Kopf kahl, als Zeichen, dass sie eine brave Dienerin Allahs sein würde, und damit das Haar umso dichter nachwuchs. Dann schlachteten sie ein Lamm und luden Freunde und die Armen des Viertels dazu ein. Am Morgen danach fuhr Sedat mit Hayat zwei Stunden lang in die Stadt Van. Emine musste ebenfalls mitkommen, um Hayat zu stillen, doch sie würde im Auto warten, während er auf die Insel übersetzte.
Es war ein heißer Tag, die Straßen waren staubig und die Luft trieb Schweiß. Die Fahrt führte über nacktes Land, in dem es keinen Schatten gab. „Danke, dass du diese Strapaze auf dich nimmst“, sagte Sedat zu Emine.
„Ich tue das gern für dich“, antwortete sie. „Ich möchte nur wissen, warum du unbedingt diese Fahrt machen willst, am Tag nach Hayats Aqeeqah, ihrem Segensfest.“
„Es ist für mich wie ein zweiter Segen“, gestand er.
„Warum diesmal? Braucht unsere Tochter einen zweiten Segen, weil du dir Sorgen um die Lage in Europa machst, um diesen Deutschen, der spricht, als wolle er die Welt in Brand stecken?“
Sie fuhren aus der Stadt hinaus, ans östliche Ufer des Vansees. Vor ihnen erstreckte sich die leuchtend blaue Fläche, aus der klar und einsam die Insel ragte. „Ja, ich mache mir Sorgen, ich finde, ein zweiter Segen kann nicht schaden, aber du kennst mich. Ich kann mich gut in meine jahrtausendealte Welt eingraben, und wenn ich mit dem Kopf in Urartu bin, sorge ich mich um Urartu, sonst nichts.“
Sie hielt ihm stand. „Sag mir, warum du dorthin willst. Warum du aus den Trümmern, aus den Resten von dieser Tragödie, die wie Narben am Körper unseres Landes sind, Segen für deine Tochter erwartest?“
„Weil Erinnern Segen ist, Emine. Was vergessen ist, ist nicht nur sinnlos gestorben. Es hat sinnlos gelebt.“
Ararat – “Und sie werden nicht vergessen sein”. Knaur Taschenbuch, 1. März 2016