Vierter Advent. Unser Weihnachtsbesuch trifft ein, und mein Schreibtisch läuft über. Was das Schreiben betrifft, kann ich das schöne Jahr nicht zufrieden abschliessen, sondern stehe am Ende mit einer Enttäuschung da, die mich kränkt, entmutigt und traurig macht. Todmüde bin ich auch. Mein Magen tut weh, und die Weltlage würgt. Dass ich mit trotzigem Stampfen und glasigen Augen beharre, ich würde einen Roman schreiben, der in Baghdad spielt, auch wenn kein Verlag den von mir haben will, ist zudem eher albern. Let’s face it: Nach Baghdad werde ich auch in 2016 nicht reisen können (und hätte es doch schon in 2014 tun wollen …), jedenfalls nicht ohne meine Familie in eine Angst zu versetzen, die über das, was wir als zumutbar vereinbart haben, hinausgeht, und solange ich nicht nach Baghdad fahren kann, kann ich auch keinen Roman schreiben, der in Baghdad spielt.
Das ändert nichts daran, dass ich mir kein kleines Geschichtchen, das mich nicht kratzt und dann über vierhundert Seiten Minimum geschleppt werden muss, mehr antun möchte, wenn in mir tobt und brennt und wütet, dass ich einen Roman für Baghdad schreiben will. Schreiben muss.
Das ändert nichts an meiner zur Zeit sehr zornigen Solidarität mit allen Kollegen, die so dasitzen wie ich: Mit einem Thema, mit einer Geschichte, die sie packt und hält und schüttelt – und mit einem Verlag (oder auch mehreren), der Ihnen antwortet: “Irak? Ach nö, das muss doch nicht sein. Wir wollen von Ihnen bloss Norwegen. Ist doch auch nett, oder? Nicht so heiss …”
Ich beschliesse: Die Leute, die für eine Geschichte von mir Geld ausgeben, haben die beste Geschichte verdient, die ich schreiben kann. Und ich, der mit der Geschichte tausend Lebensstunden Minimum verbringt, ohne dass die sich auch nur ansatzweise rechnen, habe verdient, dass diese Geschichte zu mir gehört. Ich habe Ararat geschrieben, ich habe das ganz grosse Glück erlebt, das eigene Buch durch und durch zu mögen. Ich will keine Geschichte mehr aus Fingern saugen. Ich will eine, die mir im Blut sitzt. Ich will keine mehr, die ich mit Ach und Krach schreiben kann, wenn ich unbedingt muss. Ich will eine, die ich unbedingt schreiben muss, auch wenn ich auf Ach und auf Krach nicht kann.
Das war Freitag. Zu Bett gegangen bin ich mit schweren Gliedern, schwerem Kopf und bei all der Schwere nicht der Spur eines Plans. Ratlos, mutlos, kraftlos. Schlaffherzig.
Aufgewacht bin ich mit rasendem Herzen und mitten in der Nacht. Habe drei Stunden lang still wie ein Stock auf dem Rücken gelegen und dem zugehört, was in mir ratterte wie der Orient Express. Dann bin ich aufgestanden, ganz leise, um die Geschichte nicht zu stören, ins Arbeitszimmer geschlichen und habe ein unberührtes Notizbuch aus der Kiste genommen. Auf dem – auf dem ganz neuen Notizbuch, das mir Corinna geschenkt hat – steht: “Das Spiel hat begonnen, Watson.”
Ja, Watson (mein Hund heisst so!), hat es. Das grandiose Spiel hat noch einmal für mich begonnen. An Ararats Geburtstag. Genau wie vor zwei Jahren. “Noi che abbiamo un po paura, ma la paura passera.”
Einmal fahr ich nach Baghdad. Dass das möglich ist, dass Baghdad wieder atmen kann, das gebe Gott für das kommende Jahr! Einmal schreib ich meine Geschichte für Baghdad, die in Baghdad spielt. Aber bis dahin schreib ich meine Geschichte für Baghdad, für alle Baghdads, die nicht in Baghdad spielt. Aber auch nicht in Norwegen. Oder irgendwo sonst, wo mein Kopf und der Rest von mir nichts verloren haben. Ich bin zu alt, um noch Zeit zu verschwenden. Und viel zu jung, um vor dem alten Horizont im Kreis zu trotten, wenn dahinter die Welt wartet.
Vierter Adent. Meinen Segen habe ich schon bekommen. Zwei Jahre nach Ararat hab ich wieder einen Roman nicht aus den Fingern, sondern in den Armen. Und die Verlage und meine Sorgen und das Wie und Wann und Womit sind mir all diese rauschhaft schönen Augenblicke lang egal.
It’s a lady this time! Her name is Smyrna!
Habt einen gesegneten vierten Advent, God schütze Mesopotamien, und wer immer gerade in diesen Tagen einen Roman geschenkt bekommen hat, der erlaube mir bitte, ihn zusammen mit meiner Smyrna in der Welt willkommen zu heissen.
So gefällt mir das, Charlie! Ich glaube in uns Autoren steckt immer auch ein Kämpfer. Gegen so viele Widerstände müssen wir uns stemmen, innere wie äußere und manchmal sind sie kaum zu unterscheiden. Viel Glück für deine Smyrna, ein verheißungsvoller Name!
Herzliche Grüße und einen segensreichen vierten Advent!
Sabine
Danke!
Es wäre ein bisschen einfacher, wenn das Kämpfen sich auf das ums Wort beschränkte, wenn man ein bisschen Vertrauen als Vorschuss bekäme – aber wenn es so gehen muss, wird es auch gehen – Du kennst es ja zur Genüge. Jedenfalls ist es so besser und erfreulicher als ständig mit dem, was man produziert, nicht zufrieden zu sein.
Dir und den Deinen unvergessliche Weihnachtstage.
Wir lesen uns – hoffe ich!
Alles Liebe von Charlie
Liebe Charly, du machst mir Mut!
Und ich denke, dein Traumbaby wird geboren werden. Ganz sicher. Mir springen zwei Gedanken auf, wenn ich deinen Beitrag lese.
Der eine ist, das ich dich so gut verstehen kann, dass du schreiben willst, was dir auf dem Herzen liegt und unter den Nägeln brennt. Und das musst du, denn du weisst, wie gut der Ararat geworden ist! Das ist Stoff für die ganz grosse Leinwand. Wir brauchen solche Geschichten, gerade jetzt, damit das Gut wächst.
Aber ich denke, die seichten Geschichten – solche kenne ich aber nun gar nicht von dir, Charly (ode habe ich ein Buch verpasst?) – brauchen wir manchmal, um diese Welt auszuhalten. Sie sind an sich nicht schlimm.
Schlimm ist nur, wenn wir die Augen verschliessen vor den Geschichten, die die Welt verändern und die den Finger auf die Wunden unserer Gesellschaft legen. Ich wünsche uns allen viele dieser Geschichten, die das Herzblut gekostet haben und die Herzen dazu bewegen, unsere Welt zu einem etwas menschlicherem Ort zu verwandeln.
Ich werde immer ein bisschen besserer Mensch, wenn ich deine Bücher lese. Dafür danke ich dir.
Frohe Weihnachten, liebe Charly und DANKE für alles im vergangenem Jahr.
Ich habe zu danken, Eva-Maria. Und Ararat.
Ich habe nichts gegen seichte Geschichten und nichts gegen tiefe, nichts gegen herbe und nichts gegen süsse, ich möchte mal diese schreiben und mal jene, alle, die mir begegnen, nur eine Sorte nicht mehr: die, die nichts mit mir zu tun haben, die mir das Gefühl geben: Und warum hab ich dafür nun so viele Stunden meines Lebens gegeben? Wenn eine solche Geschichte sich finanziell lohnen würde, ist das natürlich eine sehr gute Antwort – wir alle habe für Familien zu sorgen. Aber wenn nicht, bleibt nur noch das ‘So what?’ übrig, und das möcht’ ich nicht mehr.
Dir noch einmal vielen, vielen Dank! Ich freu mich auf Deinen Roman im neuen Jahr! Du weisst, auf welchen.
Gesegnete Weihnacht Dir und Deinen Lieben. Alles Liebe von Charlie
Wie schön, hier mal wieder was zu lesen, und dann noch sowas Schönes!
Ich freue mich so sehr für dich und Smyrna – herzlich Willkommen in der Welt, kleiner Roman! 😀 Möge deine Autorin dich lieben, auf deine ganz eigene Art, dich nicht vergleichen mit schon geschriebenen, geliebten oder ungeliebten Büchern, und dich durchboxen und dranbleiben und die Kraft behalten, dich zu schreiben, egal was kommt …
Ich drücke euch ganz fest die Daumen, dass sie geschrieben und veröffentlicht werden darf, die Smyrna, und dass sie ihren Platz in der Welt und in den Bücherregalen findet.
Und jetzt erst mal: Wunderschöne Weihnachstfeiertage wünsche ich dir und deiner Familie (inklusive Smyrna ;-))!
Wie schön, Dich zu lesen! Wie geht es Dir, wie kommst Du mit dem Schreiben voran, was macht Dein historischer Roman?
Ja, das sind sehr gute Wünsche – eigentlich hat jeder Roman verdient, sich bei seinem Autor zu fühlen wie eine Frau bei einem guten Liebhaber: für die eine Nacht als wäre sie die einzige.
Ich fürchte, das erlaubt Ararat nicht …
Aber die einzige würdige Nachfolgerin, das ist auch nicht schlecht.
Hab wundervolle Weihnachten!
Alles Liebe von Charlie mit Smyrna.
Mir geht es prima, mein dritter und letzter (zumindest vorerst, wer weiß …) Pferderoman ist derzeit im Lektorat, und mein historisches Baby ist gerade in die Testlesephase gegangen. Ich hab ein bisschen Angst, aber ich freue mich auch, dass er langsam erwachsen wird. 😉 Und dann werden wir mal sehen, ob er in die weite Welt hinaus darf oder ob er im kleinen Leserkreis bleibt. Für mich wäre beides okay, auch wenn ich mir natürlich schon wünsche, dass er veröffentlicht werden kann.
Würdige Nachfolgerin finde ich gut – das meinte ich ja: Man muss sie auf ihre ganz eigene Art lieben, und das ist bei jedem Roman anders. Zumindest ist das bei mir so – ich liebe meine Pferderomane, nur mit weniger Herzklopfen als beim historischen Kind. Das ist aber auch ganz richtig so, Herzklopfen und zarte Gefühle passen nicht zu meiner Teenie-Hauptfigur und erst recht nicht zu übergewichtigen Ponys. 😉 Und bei den schon geschriebenen Fantasy-/Abenteuer-Sachen ist es nochmal ganz anders. Vor allem bei einem davon kriege ich auch immer noch Herzklopfen, aber anders, leidenschaftlicher. Deswegen bringt es nichts, sie miteinander zu vergleichen – jeder ist auf seine Art unperfekt und wunderschön, und ich wünsche dir, dass du das in Zukunft nur noch so erleben kannst und nichts mehr schreiben musst, was dich eigentlich gar nicht berührt.
Liebe Grüße
Birthe