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Wenlock

Da ich im Moment nach einem Facebook-Rausch einen Facebook-Kater habe, krauche ich reumütig in meine Höhle zurück und hoffe, hier will mich noch einer. Ein bisschen zeige ich mir selbst die kalte Schulter und ätze „hab ich dir doch gleich gesagt“, aber damit kann ich leben. Ich kenn mich ja. So heiß, wie ich koche, ess ich gar nichts. Ganz richtig zum Freuen ist mir nicht, dazu ist zu sehr Zweitausendundvierzehn und ich bin zu erschöpft. Außerdem mache ich gerade höchst eigenartige Erfahrungen, für die ich Kollegen – ich geb’s wenigstens freiwillig zu – mal unter gefurchten Brauen beäugt habe. Sodass mich die Tatsache, dass ich derzeit nicht so richtig weiß, was ich für die zwei Geschichten, die sich mir ins Herz gefressen haben (ja, ja, ich weiß …), noch tun kann, gelinde in Richtung Wahnsinn treibt. Mir fehlt mein Berg. Dass ich nicht weiß, wie er im Sommer aussieht, ist so falsch.

Aber unerwähnt bleiben soll das hier auf gar keinen Fall, denn es reißt uns an den Schultern hoch und wirft uns wieder in die Laufbahn, und es ist Menschen zu verdanken, die uns ihre Zeit, ihr Geld, ihre Aufmerksamkeit schenken. DANKE! „Als wir unsterblich waren“ und ich (und Wenlock) stehen auf Platz 22 der Bestsellerliste und weinen darüber auch in dieser Woche. Weil das schön ist, einen Erfolg erleben zu dürfen, ohne ein Sieger sein und wie einer gehen zu müssen. 

Fußball ist unser Leben?

Football

Was ist eigentlich so toll an den ganz großen, global geliebten Sportereignissen, den olympischen Spielen und der Fußball-Weltmeisterschaft?

Antworten lassen sich in langer Liste aufführen, und eine der schönsten (es gibt ja auch weniger schöne) ist dieses Welt-umarm-Gefühl, seid umschlungen Millionen, Leidenschaft geteilt mit ungezählten Artgenossen.

Eine andere ist dieser Spalt im Jahr, durch den man für ein paar Wochen aus dem eigenen Leben in eine Art Dauer-Festival flüchten kann. Es gibt nur noch ein Thema, das von Belang ist. Liebeskummer, Wohnung feucht, Job verloren – macht alles nichts, heute Abend spielt Frankreich. Es ist die einzige Zeit, in der es salonfähig scheint, in der Zeitung nicht die Schreckensnachrichten zuerst zu lesen, sondern den Sportteil.

Ein paar Wochen lang sieht man seine Freunde und Verwandte fast allabendlich, und dass man eigentlich keine Zeit für Dauer-Parties hat, ist egal, denn: „Nun sei doch nicht so – ist doch nur alle vier Jahre …“ Wer einem auf der Straße begegnet, wird mit: „Kommste rum? Anstoß um acht, aber wir gucken schon den Build-up“ begrüßt. Das Haus ist dauerdekoriert wie sonst nur zu den großen Feiertagen. Die Kiste mit liebevoll gesammelten Deko-Souvenirs stammt noch aus der Kindheit der Erstgeborenen, und das Wiedersehen mit France-98-Shirts, aufblasbaren England-Sesseln und Vuvuzelas hat etwas vom Auspacken der Weihnachtskrippe: „Guck mal!“ und „Weißt du noch?“ Man hat auf einmal ein Thema mit jedem – auch mit dem ewig meckernden Kunden, dem übellaunigen Busfahrer und der Telefonstimme im Call Center.

Vier Wochen lang werden Lieder gedichtet, Sprüche gesammelt und exotische Kochbücher bemüht. Wir sind ein internationaler Haufen, bei uns findet jedes Team (außer die USA, das hat Tradition) seine Fans, es wird für jedes Team landestypisch gekocht, und spätestens nach dem Anstoßen mit portugiesischem Wein oder belgischem Bier fühlt sich unser knallbuntes Mini-Stadion ein bisschen an, als sei die Welt in Ordnung.

Ich bekenne: I love it. Es ist immer Sommer, wenn um den WM-Pokal gekickt wird. Gimme hope, Joachim. Auch wenn es im eigenen Leben regnet.

Dann ganz besonders. Ich habe es schon als Kind schwierig gefunden, wenn am „Tag danach“ auf einmal alles leer war. Kein Banner an der Tür, kein Buffet in der Küche. Keine Klebebildchen zum Tauschen, kein  Alltag, der im Rutsch verfliegt, weil abends die Party wartet. After the ball is over – der Spalt schließt sich, die Luftschlangen werden aufgekehrt, und wir müssen in unser Leben zurück. In der Zeitung steht wieder, dass im Irak Menschen sterben, und die eigene Existenzangst – vier Wochen lang gedämpft durch ein bunt bemaltes Wir-schaffen-das-schon – sitzt auf einmal wieder so eisig im Nacken wie zuvor.

Ich mache keinen Hehl daraus. Es fällt mir in diesem Jahr schwerer denn je. Schminkfarbe aus den Augen wischen und feststellen, dass das, was man vorher als unerträglich empfand, nicht nur in der Halbzeitpause flüchtig zwickt, sondern tatsächlich unerträglich ist. Begreifen, dass man kein Weltmeister ist und auch niemals einer werden konnte, sondern auch weiterhin Endlos-Hampler im Hamsterrad bleibt. Dass man totmüde ist, nicht weil’s gestern so schön war – und hast du das Wahnsinns-Tor in der Verlängerung gesehen? – sondern weil sich der Tag vor einem ohne Silberstreifen dehnt.

Das ist nicht einfach.

Aber es zeigt mir auch einmal mehr: Ich mag die gern, die Sportler, die mir immer mal wieder vier Wochen Aufatmen, Wegschauen, Leben schenken, wenn ich es am meisten brauche. Ich bin denen wieder einmal – und mehr denn je – dankbar. Und unserer Fan-Gang, die seit Jahrzehnten mit uns feiert, erst recht. Wenn’s mir heute wieder im Nacken graut, im Kopf dröhnt und im Magen wühlt, habe ich ein Echo von „Brazil, Brazil“ noch im Ohr. Schön war’s. See you next time. Und bis dahin passt gut auf euch auf.

Küssen nach München

Roseunclewalter
München war zum Küssen. Und bei einer Kollegin habe ich gerade gelesen, dass heute der „Welttag des Kusses“ ist. Luschtig, was es alles gibt. Weit aufregender fand ich aber die Idee der Kollegin, zu diesem Anlass eine eigene Kuss-Szene, die man gern mag, zu posten. Noch vor zwei Jahren hätte ich nicht den leisesten Wunsch verspürt, dabei mitzumachen, sondern hätte mich leicht neidisch verkrochen, denn so etwas hatte ich nicht – eigene Kuss-Szenen, die ich gern mochte. Jetzt hatte ich Probleme, mich zu entscheiden, und das freut mich zum Küssen! So sehr, dass ich riesige Lust bekomme, eure Kuss-Szenen zu lesen. Wer küsst mit und postet mir hier – oder bei Facebook – welche dazu (Link zu eurer eigenen Site ist natuerlich genauso gut).

Wie hinreißend, mit einem Primo uomo zu verkehren, der weiß, wie man’s macht. Ich möcht‘ ihn immerzu küssen, wo er schön ist.

Hier kommt Hatti die Erste (von Ararat ganz zu schweigen):

Seine Miene war skeptisch, und Amarna musste wiederum an das Gilgamesch-Epos denken, an ihre Lieblingsverse über Enkidu, der mit der Wohltat von Speise und Trank nichts anzufangen wusste:

„Brot legten sie ihm vor.

Bier stellten sie ihm hin.

Enkidu aß nicht das Brot, ratlos schaute er in die Runde.

Brot zu essen hatte er nie gelernt,

Und Bier zu trinken war ihm unbekannt.“

Er nahm ihr den Becher aus den Händen, trank und gab ihr das Gefäß zurück. Als ihre Hände sich trafen, strich sie ihm über den Handrücken. Erstaunt sah er sie an. Sie sah ihn auch an. Ohne Worte rückten sie zueinander. Amarna stellte den Becher auf die Lehne. Sie legte die Arme um den Fremden, spürte unter den Fingerspitzen das Zucken gespannter Muskeln und suchte behutsam, um ihm nicht wehzutun, seine Lippen. Er legte die Arme um sie und fand die ihren sofort. Hätte sie den Mund nicht gleich darauf vollgehabt, hätte sie aufjauchzen wollen. Sie hatte nicht gewusst, dass man einen Menschen so küssen konnte, ohne etwas zu denken, das ablenkte, ohne etwas zu fühlen als Lippen, Mundhöhle, Hunger und Entzücken.

Als er sich löste, war sein Gesicht verändert, auch wenn er noch immer nicht lächelte. Sie sah seinen frisch geküssten Mund an und glaubte, ihr Inneres wie Espenlaub rascheln und flüstern zu hören. Flüchtig betastete er sich die Schultern, als fiele es ihm schwer zu fassen, dass ein Mensch ihn bis eben an diesem Teil seines Körpers in den Armen gehalten hatte. Dann begannen seine schlanken Finger ihr das Haar hinter die Ohren zu streichen, immer wieder, sooft es nach vorn fiel, wie in einem Spiel, von dem er nicht genug bekommen konnte. „Amarna“, sprach er vor sich hin, jede Silbe wie eine der Perlen an ihrem Armband. „Amarna.“