Und als der Herrgott Mai gemacht

Damit, dass der hier mein Lieblingsmonat ist, gewinne ich zweifellos keinen Preis für Originalität.

Er ist es aber trotzdem. Und ich wünsch‘ Euch allen einen, der sich nicht vergessen lässt.

Ab und an gab es ja durchaus Jahre, in denen es mich am ersten Mai regelrecht verblüfft hat, dass wir den doch wieder erreicht hatten. Dieses ist eines davon. Ein bisschen kreuzbrecherisch. Ein bisschen schwerleibig auf dem Selbstwertgefühl. Ein bisschen magenunverträglich, schädelknetend und herzauswringend. Aber angekommen sind wir – danke, Jenny, Adnan, Yerevan! – trotzdem. Und zwar richtig. Die Arbeit, die mir gerade beigebracht hat, dass man seine Arbeit nicht nur leicht nervig finden, sondern regelrecht hassen (und vor allem: sinnlos finden!) kann, ist vom Tisch, auch wenn ich’s noch lange nicht glauben kann und noch immer bei jedem freundlichen Winken in Tränen ausbreche. Ich glaube, ich habe gelernt, dass man sich manches auch aus finanzieller Not nicht um den Hals binden sollte. Zumindest nicht, wenn man nicht plötzlich mit dem Knoten auf der Kehle aufwachen will. Und sich dabei als Verräter fühlen.

Für den Rest des Jahres dürfte es – mit ein bisschen Courage – nur noch Arbeit geben, die ich selbst ausgesucht und für sinnvoll und zu mir passend erachtet habe. Und am Wochenende trage ich meinen Ararat ins Museum und flüstere ihm flirtend in die Ohren, dass ich bald wiederkomme, dass ich mich nur noch ein bisschen von dem Gefühl, statt einer Schädelfüllung einen Hohlraum auf den Schultern zu schleppen, erholen muss.

Das ist alles ein Grund zum Feiern (was wir heute wie jedes Jahr auch tun werden), und das hier ist auch einer und gehört in dieselbe Kategorie:

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Sehr passend zum ersten Mai: Mein neues Buch unter neuem Namen, eins, das das Glück hatte, von Anfang bis Ende mit echter verlegerischer Passion betreut worden zu sein und das deshalb – finde ich – so richtig chic in seiner Startbox aussieht. Dabei hieß es zu dem Thema anfangs aus der Fachwelt, sowas verkaufe sich in etwa so reißend wie ein Pott Kohlrübensuppe. Aber manchen Büchern und ihren Autoren gibt’s der Herr eben im Schlaf. Ich bedanke mich!

 

Mehr sag‘ ich jetzt nicht dazu, sondern hoffe, dass ihr etwas sagt. Falls jemand es liest und uns einen Kommentar hinterlässt, freuen wir uns sehr.

 

Euch allen – falls ihr den nicht schon hinter euch habt – einen Tanz in den Mai.

 

Charlie, Carmen und Lotti

 

 

 

Never say never

Guten Morgen im Mai. Hier spricht übrigens die Frau, die noch nie – auch nicht zur Teenie-Zeit der Baum-und-Strauch-Verse – ein Gedicht geschrieben hat.   Hier spricht auch die, die auf Englisch nie etwas anderes als Fachtexte – und höchstens mal ein bisschen was Journalistisches – schreibt.   Vor allem aber spricht hier die, die noch vor einem halben Jahr verkündet hat, sie würde nie – in Worten: NIE – und nicht für den Preis ihres Lebens Kinderfotos ins Internet stellen.   So viel zu nie: Image Das ist ja kein Kinderfoto, gell?   Das sind zwei Dichter.   Genauer gesagt sind das mein jüngster Sohn Raul sowie der grandiose Adnan al-Sayegh, die im Rahmen der Lesung „Writing Mesopotamia“ abwechselnd auf Arabisch und Englisch ein Gedicht lesen, das mein Sohn geschrieben hat. Die Lesung fand statt am Sonntag, dem 27. April, im schönsten Museum der Welt und wurde veranstaltet von Jenny Lewis, Adnan al-Sayegh und dem Department of Middle East. Das Gedicht meines Sohnes heißt „When they believed in us“ und ist dem mesopotamischen Gott Enlil in den Mund gelegt. Es gefiel Adnan so gut, dass er es übersetzen wollte. Da eine Oud-Spielerin die Lesung musikalisch begleitete, wurde darum gebeten, zwischen den einzelnen Gedichten nicht zu klatschen. Bei der Lesung von Adnan und meinem Sohn (dem einzigen nicht volljährigen Dichter) wurde dies nicht eingehalten. Die Zuhörer sprangen einfach auf und klatschten los.   Sollte sich dieser Blogbeitrag nach dem bis zum Überdruss bekannten Gesäusel eines vor Stolz platzenden Exemplars der Gattung Mutti anhören, sei das auf leichter Schulter hingenommen. Es fiele mir äußerst schwer, in Worte zu fassen, wie buchstäblich atemberaubend es sich anfühlte, meinen Sohn und Adnan sein Lied des Enlil lesen zu hören. Nicht weniger atemberaubend war es, Adnan und Jenny ihre eigenen Werke lesen zu hören – allen voran Auszüge aus Adnans fünfhundertseitigem Versepos „Anthem to Uruk“, von dem ich nur hoffen kann, dass sich eine vollständige Übersetzung irgendwann finanzieren lässt. Sehr weit über „atemberaubend“ hinaus ging das Privileg, Jenny und Adnan zu erleben, die auf Arabisch und Englisch aus der Zwölftafel-Version des Gilgamesch-Epos lasen. Ich bin diesem Epos verfallen, solange ich denken kann, ich sammle Versionen und habe mich im letzten Jahr noch einmal heftig und innig in es verliebt. Ich habe etwas Vergleichbares nie (sic) erlebt und ich werde nie (sic) wieder Gilgamesch-Text anschauen können, ohne Jenny und Adnan zu hören, die „Lamentation for Enkidu“ lesen, für mich das schönste Liebesgedicht der Weltgeschichte.   Diese Lesung kam zustande im Rahmen des Workshops „Writing Mesopotamia“, von dem ich – Pathos hin Pathos her – ein bisschen das Gefühl habe, er hätte mir in den letzten Monaten hier das Leben (zumindest aber das Selbstwertgefühl als denkender, schreibender Mensch) gerettet. Dem Talent und der charismatischen Präsenz von Jenny und Adnan beugt sich der hartleibigste Ich-kann-nicht-schreiben-Komplex. Die finale Überarbeitung von Carmens Roman „Hattuša“ und die erste Planungsphase von meinem Roman „Ararat“ haben sich vom Schwung dieses Workshops durch eine ziemliche Wüste schleppen lassen. Und nebenbei habe ich noch gemacht, was ich nie mache. Ein Gedicht geschrieben. Nee, zwei. Auf Englisch.   Wer sich für diesen Workshop interessiert, den bitte ich, sich bei mir zu melden, da wir uns derzeit darum bemühen, ihn im nächsten Frühjahr fortsetzen oder wiederholen zu können. Und wer wissen möchte, was mich daran so hinreißt, den bitte ich, Jenny Lewis und Adnan al-Sayegh zu lesen.