E la solita storia …

Dieser Tage habe ich gehört, eine sehr bekannte, erfolgreiche Autorin habe gesagt, wer heute Schriftsteller (sic!) werden möchte, müsse wissen, dass das ein kränkender Beruf sei. Ich kann das jetzt nicht verifizieren, kenne auch die Autorin und ihre Texte nicht, und lasse das einfach mal so stehen.
Für mich stimmt das (auch wenn Schriftsteller nicht mein Beruf ist). Manchmal so, dass ich’s mit dem Rest vom Leben ausgleichen kann, und manchmal so, dass es mir den Atem nimmt. Dieses Jahr ist bisher entschlossen, sich als von der atemberaubenden Sorte zu erweisen, und ein bisschen gehe ich nach drei Monaten schon in die Knie. Aber man wird eben älter, und meine Knie waren zum Marathonlaufen schon immer besser geeignet als zum Schreiben. Gemein wird’s erst, wenn ich wieder mal aus meinem Wolkenkuckucksheim schrecke und bemerke, dass sämtliche Tiefschläge des Veröffentlichens – scheußliche Covers, schlechte Verkaufszahlen, Lektoratsprobleme, verschleppte Zahlungen, verlorene Rechte – mich nicht so sehr kränken wie ich mich selbst. Die schlimmste Kränkung, die, die mich lahmlegt, ist immer die Feststellung, dass auch der brandneue Roman wie seine Vorgänger an der einen Krankheit leidet, an der er nicht leiden sollte: Kitsch.
Mit ihren anderen Fehlern kann ich leben. Die zwicken, aber sie kränken nicht und sie legen mich nicht lahm. Wenn mir einer sagt, meine Bücher sind zu lang, muss ich lachen. Ja, das sind sie, sie hätten schlanke Selleriestangen werden sollen und sind fette Schinken geworden, aber sie sind ja auch von mir (Vegetarier …), und in dem vielen Gesabbel und den Erklärungen zum Kauf einer Bahnsteigkarte erkenne ich zwar nicht meine erfreulichste Seite, aber eine, die ich auch weiterhin wasche. Wenn mir einer sagt, meine Bücher sind düster, trifft mich das, weil ich das nicht bin und weil meine Bücher das nicht sein sollten, aber eigentlich mag ich „düster“ lieber als „rosig“. Es ist nicht verkaufsfördernd, aber es schlägt mir auch nicht auf den Magen.
Kitsch tut das. Kitsch ekelt mich. Kitsch stampft das, was ich mit meinen Geschichten möchte und mir für meine Figuren wünsche, kaputt. Kitsch treibt mich zur Verzweiflung, weil ich mich ihm gegenüber so hilflos fühle. Ich mag keinen lesen. Ich mag keinen schreiben. Wie kommt der dann in meine Geschichten?
Bis ein Roman veröffentlicht ist, betätige ich mich als Meister des Selbstbetrugs, wobei mich nach wie vor fasziniert, wie viel ich mir unbesehen glaube. Während der Überarbeitung fühle ich mich mit gefletschten Zähnen als gefährlicher Kitsch-Hunter, der eine Schmeißfliege nach der anderen platt klatscht und zudem ein Heer tapferer Testleser mit roten Kitschalarm-Leuchten um sich hat. Dann folgt das Lektorat. Wenn mir da noch was in die Finger kommt, rupf ich’s aus und reibe mir die Hände, aber sofort danach beginnt die Drei-Affen-Phase: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Zu Deutsch: Ich tue so, als wüsste ich, dass DIESMAL alles in Ordnung ist mit meinem Text und rühre ihn nicht mehr an, damit ich nicht in Versuchung komme, zu bemerken, wie gewaltig ich mich gerade selbst zum Hansi mache.
Die Belege, die verschickt werden müssen, stopfe ich hastig in Umschläge. Die Kiste mit dem Rest kommt postwendend nach oben, ins Kramzimmer. (Ich lass die immer meinen Mann schleppen, damit mir kein Buch aus Versehen aufklappt …) Dann kommt die erste Rezension, meistens von irgendeinem reizenden Menschen, der irgendwo das reizende Wort „kitschfrei“ unterbringt. Das ist der Augenblick, in dem der Autor, wenn er einen Erbonkel hätte, eine Flasche Champagner kaufen gehen würde. Darauf folgen die Leserunden. Dazu muss das Buch aus der Kiste geholt und aufgeklappt werden, und zeitgleich betritt der erste, nichts Böses wollende Leser die Bühne, der amüsiert grinsend feststellt: „Mensch, Charlie, das ist ja – Kitsch!“ Und das ist der Moment, in dem der Autor, wenn er einen stabileren Magen hätte, eine Flasche Absinth kaufen gehen würde. Und das Buch aus dem Fenster feuern.
Weshalb passiert mir das? Ich unterrichte Creative Writing. Ich coache Romanautoren. Ich lektoriere Romane. Ich kann erklären, wie man einen Cliffhanger setzt und einem Antagonisten Kraft gibt, wie man einen Spannungsbogen straff zieht und einen Figurenpark auf handhabbare Größe reduziert. Aber ich weiß nicht, wie man eine Geschichte erzählt, ohne sie zu kränken, ohne sie mit künstlichen Aromastoffen zu vergiften, ohne ihr die Würde zu nehmen, indem man ihre schönen, klaren Fugen mit Schmalz zukleistert.
Mich macht das so traurig. Mir tut das für meine Geschichten so leid. Ich weiß keine Abhilfe. Selbst wenn ich – was ich sehr gern für meinen Roman tun möchte – Geld, das ich nicht habe, ausgebe, um ein Seminar oder einen Coach zu buchen – gibt es eins oder einen mit dem Motto „Kitsch vermeiden“? Ich habe keines gefunden, ich kenne in dem ganzen Haufen hilfsbereiter Kollegen, von denen ich schon so viel gelernt habe, keinen, der mir sagt: „Pass mal auf, jetzt erkläre ich dir mal, wie du das Schritt für Schritt üben kannst.“
Ich weiß noch, wie verzweifelt ich war, als ich das in Twelfthnight entdeckt habe, in meiner Twelfthnight, von der ich so sicher war, die hätte das nicht nötig. Damals wollte ich unbedingt eine Geschichte über Erasmus von Rotterdam schreiben, weil ich sicher war, da hätte ich das Problem dramaturgisch vermieden, weil die Mann-Frau-Story, bei der mir das immer passiert, nicht enthalten ist. Mich hat das damals keiner schreiben lassen. Und heute sitz‘ ich noch deutlich beknackter da, weil die Story, in die ich verliebt bin, DIE BEIDEN STORIES, IN DIE ICH VERLIEBT BIN, ohne Mann&Frau nicht funktionieren. Ist an der Stelle schon der Wurm drin? Ist der Abstand zwischen Autor und Sujet nicht groß genug? Aber die, wo der Abstand massig war, enthielten auch Kitsch. Nur hat’s mich da weniger gekratzt, weil’s mir nicht so sehr wie Verrat vorkam.
Ich finde Kitsch nicht hübsch. Ich finde Kitsch so unappetitlich wie Schmalz und Kohl und Torte Moskau. Vor allem (ich fürchte, darauf läuft’s bei mir derzeit immer hinaus) finde ich Kitsch so fürchterlich unerotisch. Ich kann doch verdammt nochmal einem Roman nicht einen so chicen Namen wie Ararat geben und ihm dann die Ritzen mit Blümchen-Klopapier vollstopfen!
Ararat, das darf uns nicht passieren. Ich sollte ganz furchtbar mutig sein und die Hatti anschauen, um endlich herauszufinden, warum mir das passiert. Aber ich bin gerade das Gegenteil von ganz furchtbar mutig. Ich fühl mich klein, ich hab Angst um Dich und ich verkriech mich jetzt und fahr‘ mit Dir ins Museum. Morgen, ja? Oder übermorgen. Oder dann, wenn ich den Coach entdeckt habe, der uns hilft und der das Anti-Kitsch- Programm für panische Möchtegern-Autoren erfunden hat.

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10 thoughts on “E la solita storia …

  1. Sehr geehrter Herr Kitsch,

    heute richte ich ein ernsthaftes Wort an Sie.

    Ich weiß, Sie sind ein Phänomen, ein deutsches noch dazu. Schließlich ist es unmöglich, Sie in eine andere Sprache zu übersetzen. Seit 1870 kann man Ihnen nicht mehr aus dem Weg gehen und begegnet Ihnen überall. Und alle wissen, dass diese Treffen dann stets sentimentaler und trivialer Natur sind. Manche behaupten sogar, dass alles, was von Ihnen stammt, als minderwertig zu betrachten ist.

    Einige Menschen sind dagegen immun und finden es großartig, von verkischten Gefühlen (wenn wir mal literarisch bleiben) übergossen zu werden. Dagegen gibt es diejenigen, die allergisch reagieren, sofern sie Ihrer nur ansichtig werden. Und im Namen dieser kitschempfindlichen Personen appelliere ich an Sie:

    Bitte bleiben Sie fern. Schlagen Sie einen weiten Bogen um werdende Texte. Versuchen Sie erst gar nicht, Einlass zu finden. Er wird Ihnen – auf jeden Fall im Haus von Charlie und Carmen – verwehrt werden. Auch wenn Sie meinen, einen Fuß in der Tür zu haben, wundern Sie sich nicht. Es gibt immer jemanden, der aufpasst!

    Ich rate Ihnen, suchen Sie sich einen anderen Ort, an dem Sie um Asyl nachsuchen. Hier werden Sie leider kein Obdach finden.

    Mit freundlichen Grüßen

    Frau Schwanenweiß
    im Auftrag der Interessengemeinschaft “Wider den Kitsch”

  2. Sehr geehrte Frau Schwanenweiss,

    kann man Sie engagieren?
    Wir haetten eine Position als unerschrockener Ritter frei!

    Haben uns so gefreut und bedanken uns herzlich,
    Charlie (und Carmen, die gibt’s bloss nicht zu)

  3. O, das Angebot ehrt mich sehr. Ich bin und habe zwar nicht die klassische Ritterfigur, doch reiten kann ich zumindest, und beim Bogenschießen habe ich wenigstens einmal ins Schwarze getroffen und den Großen (seines Zeichens Sohnemann) besiegt, der die Niederlage ritterlich hingenommen hat. So gerüstet dürfte sich ja dann der Kitsch gleichfalls in die Flucht schlagen lassen…

  4. Gebongt, ich besorge mich jetzt schnellstens eine Rüstung…

    Nun habe ich noch eine Bitte, und da muss die Charlie jetzt mal wegschauen.

    Liebe Carmen, ich brauche eine Adresse, wohin ich der Charlie etwas schicken kann. In der letzten LB-Leserunde (vielleicht hat dir Charlie davon berichtet) wurden neben dem eigentlichen Thema weitere außerordentlich interessante Gedanken geäußert. Von einem habe ich mich anregen lassen und möchte mit dieser Inspiration Charlie überraschen. Ist nichts Schlimmes und tut auch nicht weh. Ich hoffe, du kannst mir helfen. Meine E-Mail siehst du ja immer (hoffe ich), wenn ich hier ein paar Worte verliere. Aber nichts verraten. Versprochen?

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