Zum ersten Advent

Firstofadvent

„Und wenn wir Durst haben in dem Land mit den zwei Flüssen, dann können wir immer gleich trinken, weil wir ja die zwei Flüsse haben. Das ist gut. Und in dem Wald wohnt der Hubaba. Der passt auf uns alle auf.“ Fabian (3)

Ich kann dir nichts schicken, Land mit den zwei Flüssen. Nur meine Gedanken. Ich wünsche dir, dass du heute zu ein wenig Stille erwacht bist, zu einem Augenblick mit mehr Erwartung als Angst. Gott behüte dich. Charlie (49)

Solomon’s Song

Es ist schön (sehr schön) ((sehr sehr sehr sehr sehr schön)), meinem Roman Ararat irgendetwas zu schreiben. Aber am schönsten, das gebe ich frei von Schamröte zu, ist es, ihm von der Liebe zu schreiben.

Ich hab so etwas in der Vergangenheit nicht gern gemacht, obwohl ich immer davon schreiben will – von der Liebe, vom Krieg und vom Tod. Die Liebe schrieb sich so schwer. Was ich vom Krieg und vom Tod schrieb, hatte manchmal Ähnlichkeit mit dem, was ich im Kopf hatte. Was ich zur Liebe im Kopf hatte, kribbelte mir zwischen den Schenkeln, ich wollte beim Liebe-im-Kopf-haben immer nie meiner ordentlichen Schwägerin Theresa begegnen, aber auf dem Papier landeten zwei Trau-mich-nichts, die mit klobigen Schritten aufeinander zu strauchelten und wie Roboter nach Körperteilen langten, bei denen ich mich fragte, wo ein Mensch die eigentlich haben soll. Beim Im-Kopf-haben war mir lustig, beim Aus-dem-Kopf-herauszupfen lüstern und beim Aufschreiben verging mir die Lust.

Dabei lese ich das so gern. Bei D.H. Lawrence kann ich mir keine halbe Seite darüber geben, wie ein schöner Mann sich Butter auf ein Brot streicht, um’s mit in ein Bergwerk zu nehmen, ohne auf dem Stuhlkissen zu zerfließen. Dabei wird mir schummrig. Bei mir selbst wird mir schläfrig. Und das hat mich immer traurig gemacht, weil in meinem Kopf nichts vom Schlafen war.

Dann hab ich die Hatti geschrieben und alles war anders.

Und bleibt es.

Jetzt hab ich zwei, die schon zu tänzeln beginnen, wenn sie sich an entgegengesetzten Enden des Raumes gegenüberstehen. Lange ehe sie die Buttermesser zücken. Zwei, die kaum die Köpfe zu heben wagen, weil dann alles zu spät ist. So sehr zu spät, dass die blindlings in meine ordentliche Schwägerin Theresa hineinlaufen würden, weil sie nur Augen, Nasen, Hände, Füße (!) für einander haben. Zwei, die B sagen, lange ehe sie an A auch nur denken. Sie ist schön, und er ist der Schönste, aber wenn sie von ihren Butterstullen auf und einander in die schönen Augen sehen, werden sie so schön, dass es verboten werden müsste. Und in der Mitte ihrer Blickstrecke, da wo’s zusammenprallt, schmilzt ihr Autor. Ich.

Etwas in mir fand schon vor 36 Jahren über Salomons Hohelied, dass Nässe und Duft von Sex etwas vollkommen Heiliges haben. Du bist schön, mein Freund, schön bist du, unser Lager ist grün. Meine zwei, die selbst frisch gewaschen vor Sex stinken, sind mir so heilig wie die schönste Sünde.

Aus meinem Kopf, durch meinen Stift, auf mein Papier und zwischen meinen Lenden bricht ein kleiner Vulkan aus, ehe ich Zeit hab, mich um meine Schwägerin Theresa zu scheren. (Bin ja auch umgezogen … die wohnt nicht mehr um die Ecke)

Jetzt hab ich zwei. Jetzt hab ich so sehr zwei.

Die brauch ich nicht zu schreiben. Die schreiben sich nicht mal selbst für mich, denn um mich scheren die sich so wenig wie um meine Schwägerin Theresa. Die haben nur Augen und Hände, nur Nasen und Füße, nur sich schlingende Schenkel und lechzende Münder für einander. Die machen Liebe auf dem Papier, noch wenn sie ihre Hypothek begleichen, die Trümmer ihrer Parties begutachten und die Bretter mit ihren Butterstullen (er verträgt keine Butter, sie, wenn sie ihn lange ansieht, auch nicht mehr) sehr langsam, sehr lüstern beiseiteschieben.

Ich geh jetzt wieder. Mir nimmt das den Atem und jeden lästigen Rest von Anstand. Die haben Namen wie zwei Zirkusclowns, die zwei. Aber gegen das, was die versprühen, ist ein Pulverfass ein Schminkdöschen.

Erzählt ihr mir auch, wie ihr von der Liebe schreibt, wenn eure zwei (oder drei. Oder sechs) euch lassen?

Wir würden uns freuen. Charlie (gespannt) & Ararat (anderweitig beschäftigt)

Here to stay

Kennt mich noch einer?
Ich bin ganz kleinlaut. Aber diesmal bin ich wirklich hier, um zu bleiben. Und um zu tun, wofür ich den Blog einmal angeschafft habe: Meinem Roman beim Wachsen zuzuschauen und vor mich hin zu erzählen, was uns dabei so an den Hirnen vorbeischwimmt, meinem Roman und mir.
Inzwischen ist uns ziemlich viel passiert.
Wir haben unser Leben in hundertdreißig Kisten verpackt und unser Haus verlassen. „Andere Leute machen das auch“, hatte mein Mann beteuert. Dass wir es machen könnten, einfach in ein neues Haus spazieren und behaupten, das sei jetzt unseres, erschien mir trotzdem völlig unmöglich. Das Haus waren wir. Gemacht haben wir es aber doch. Die Kisten sind leer, die Bücher stehen alle wieder an Wänden, und wir leben immer noch. Und finden uns sogar allmählich wieder.
Die permanente finanzielle Katastrophe verbunden mit der Besessenheit, mir trotzdem einen Roman zu leisten, von dem ich fand, ich müsse ihn schreiben, haben mich – in etlichen Nachtschichten – erstmals gelehrt, wo meine gesundheitlichen Grenzen sind. Daran laboriere ich jetzt mit noch offenem Ausgang. Mich weiter durch Nächte schleppend und um unsere Existenz kämpfend. Aber zuweilen, nie frei von Argwohn, auf einen Lichtblick hoffend. Eine Atempause. Ein Stück Stille mit meinem Roman.
In dem Land, in dem ich in diesem Winter staunen, mich berauschen und arbeiten wollte, ist Krieg. Wann der aufhört, ist fraglich. Und was dann von dem Land noch übrig ist, erst recht. Ich kann mich nicht erinnern, wann mich zuletzt etwas so traurig gemacht hat, so hilflos, so ohne Begreifen. Etwas tun würd‘ ich gern. Wenn das möglich wird, schreib ich’s hier auf. Bis dahin kann ich an das Land zwischen den zwei Flüssen nur denken. Das nützt dem Land nichts. Aber ich tu’s trotzdem.
Tja.
Und dann hab ich noch den Roman.
Selbst einen geliebten Roman kann man ja nicht ständig nur lieben, sondern muss ihn auch schreiben. Muss stinknormale dramaturgische Entscheidungen treffen, muss stinknormal erleben, wie man stinknormal scheitert, wie die Sprache auf dem kleinen Weg zwischen Stirnoberfläche und Papieroberfläche sich stinknormal das Rückgrat bricht. Dabei hat sich’s bei mir dann in der Vergangenheit immer ausgeliebt und ist stinknormal geworden. Aus dem auf die Füße (ach nee, das ist ja schon wieder Ararat) geküssten Lieblingsprojekt wurde das Zeugl, das ich hier eben schreibsel und das meistens nicht ganz, manchmal noch weniger und allzu oft gar nicht gelingt. Lieben – zwischen schönen Männern, vor Leben berstenden Kindern, Rosetta-Steinen, Ishtar-Toren und ersehnten Ländern im Krieg – konnt‘ ich Romane von anderen. Aber nicht meine.
Als ich angefangen habe, meinen Berg-Roman aus meinen Armen und durch meine Bleistiftspitze auf mein Papier zu lassen, war mir klar, dass mir das wieder passieren könnte. Ich habe damit gerechnet. Und versucht, mir einzureden, dass das keine Tragödie ist. Ob’s eine gewesen wäre, kann ich jetzt gar nicht mehr feststellen, denn es ist nicht passiert. Ich lieb ihn immer noch. Ich mache stinknormal Müll mit ihm, aber ich fühl mich nicht stinknormal, sondern immer noch glücklich. Und manchmal frag ich mich, ob ich auf meine alten Tage wohl noch lerne, was Treue ist.
Und was mach ich dann?
Zehn Bände schreiben?
Nein, denn das wäre nicht treu, sondern besitzergreifend (ich wette, ich hab irgendwann mal behauptet, das sei dasselbe …). Wenn er mit mir fertig ist, darf er gehen. Das tut er nämlich sowieso. Zum biederen Ehemann taugt er nicht, sondern ist ein Flirt. Zärtlich und zerstreut. Flatternde Wimpern, flatterndes Herz. Mach dir keine Sorgen, Schöner. Lauf weiter. Wenn du gehst, dann wink ich dir, auch wenn ich weiß, dass du im Grunde schon weg bist und den Kopf nicht drehst.
Ach ja. Verkauft hab ich ihn in der Zwischenzeit. Ob das gut geht, werden wir mal sehen, aber es schien mir für ihn die richtige Entscheidung. Ich möcht‘ ihn in Papier. Ich möcht‘ ihn in den Händen der grandiosen Lektorin, die ich mir nicht hätte leisten können. Ich möcht ihn so schön präsentiert wie seine Schwester, die hier schon fast an der Tür steht. Ich möchte mehr für ihn, als ich ihm hätte geben können. Dass ich ihm auch etwas hätte geben können, was ihm sonst keiner gibt, steht seltsamerweise außer Frage. Aber „ein bisschen Schwund ist immer“. Und vor allem wollte ich das für ihn: einen gesicherten Weg. Eine Tür zur Welt.
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