Da ich mehrfach gefragt worden bin, ob die Fußballweltmeisterschaft bei uns nicht stattfindet, möchte ich gern darauf antworten: Doch. Fußball wird in diesem Haus sehr geliebt, wir nennen es The beautiful game und sind ihm durch ganz Europa hinterhergereist. Ich habe mich an den großen Mittelfeldspielern meiner Zeit – Platini, Maradona, Zidane – genauso abgeschmachtet wie an den großen Tenören. Außerdem haben wir hier eine unausrottbare Schwäche für das Pathos, das große internationale Sportereignisse auslösen. Mir ist nur – vielleicht weil ich ein Buch über ein solches Ereignis schreibe – zum ersten Mal am eigenen Leib bewusst, wie vorsichtig man mit diesem Pathos sein muss. Pathos lässt ein Stück wachsen, das ist angehm, aber es fällt mir diesmal nicht so leicht, den Kopf in den Wolken zu vergraben und zu ignorieren, was außerhalb der Stadien geschieht.
Dies, ums gesagt zu haben. Die Diskussion darüber möcht‘ ich gern führen, aber nicht hier. Und nichtsdestotrotz haben wir gestern Abend die überraschende, stürmische Schönheit des Frankreich-Spiels von Herzen genossen. The beautiful game. Da war der Zauber, mit dem dieses Spiel die halbe Welt kirre macht, wieder unwiderstehlich, und gerade deshalb müssen wir sorgsam damit umgehen.
Passend dazu empfehle ich heute das schönste Buch über Fußball, das ich kenne. Javier Marias: „Alle unsere früheren Schlachten“. Eine Essaysammlung des Spaniers, der für mich ohnehin zu den lesenswertesten lebenden Schriftstellern gehört. In gewohnter sprachlicher Makellosigkeit widmet sich Marias seiner privatesten Leidenschaft. Eben weil das Buch so privat ist, weil es das Eingemachte, das aus der Kindheit Heraufgeschleppte nicht ausspart, ist es tief berührend, und eben deshalb zugleich ein höchst politisches Buch. Die kurzen Texte eignen sich für die Halbzeitpause – und sind auch als Geschenk an die Menschen in unserem Leben zu empfehlen, die wieder einmal gern erklärt hätten, warum wir in den kommenden drei Wochen Abend für Abend am Fernsehschirm kleben.