Wenn ich Zeit hätte, die ich – aufgrund nicht gekauften Lottoscheins – nun leider auch künftig nicht habe, käme ich im Augenblick womöglich weiter. Obwohl alles, was mit dem Schreiben zusammenhängt, sich derzeit demotivierender denn je anfühlt, behält dieser Roman etwas Ruhiges, Unerschütterliches, das mir Respekt abnötigt. Wenn ich ihn anschreie: „Sieh dir doch an, was mit den anderen passiert ist!“, zuckt er die Schultern und erwidert: „Ich bin anders.“ Und sobald ich dann weiterbrülle: „Und wenn du anders sein willst, wie soll dann ausgerechnet ich mit dir fertigwerden?“, dreht er den schönen Kopf weg und hört nicht mehr hin.
Ich versuche also, mich tiefer in meine Misere hineinzutreiben, die Hitze der Feuerprobe zu erhöhen und mich über weitere Frustrationsgrenzen zu hetzen, um zu sehen, ob er sich nicht doch noch vertreiben lässt. Im Zug dessen habe ich mir gestern Abend eingestanden, dass ich – trotz reichlicher Knödelei daran – das Exposé noch überhaupt nicht präsentabel finde, dass ich zwei deutliche Schwächen darin erkenne, die geradewegs in den Genickbruch führen können (eine ist das Problem mit den zwei Frauen, die andere der Showdown, wo einer von zwei Antagonisten irgendwie dumm rumsteht. „Die antagonistische Kraft“ ist eben nichts, das sich mal eben locker durch zwei teilen lässt). Und eine Menge weniger tödlicher, aber fraglos unschöner Haken obendrein. Der Tiefschlag war mir – ich bin ja kein Indianer – dann doch ein bisschen heftig, weshalb ich beschloss, mir zum ersten Mal seit der Lektoratsschlappe zwei Seiten von der Hatti zu gönnen und zwar die, auf die ich immer am meisten abgefahren bin. Ich trau’s mich fast nicht, zu schreiben. Es war furchtbar. Gesucht habe ich einen Text, der mich über Monate in grinsende, herzrasende Räusche versetzt hat und den ich ungefähr achtundzwanzig mal durch den Wolf gedreht habe. Gefunden habe ich einen, der dringend überarbeitet gehört und schlicht und ergreifend zu viel Kitsch enthält.
Das war kein schöner Abend. Da half nur Kopf einziehen, sich an den Familientisch trollen und ans Schreiben nicht mehr denken. Wenn meine Argumente gegen meine Misere Ararat und Hatti sein sollen, die zwei, die „anders“ sind, was bleibt mir dann eigentlich übrig, wenn die genauso mit zu viel Schwulstwasser kochen wie die anderen? Mit „Vielleicht lässt du’s einfach“ bin ich eingeschlafen, und als ich irgendwann nach Mitternacht aufwachte, habe ich glasklar, farbig und im Riesenformat eine Szene vor mir gesehen, auf einem Bahnhof, Victoria, denk‘ ich, eine Szene aus einem Roman im Exposestadium, und an der war schon alles dran. Das war ziemlich beeindruckend, Ararat. Ich mit all meinem Gemecker und meinen Bedenken war ein bisschen still.
Mir passiert ja sowas sonst nicht. Ich muss alle Szenen aus meinen Fingern saugen, und geträumt habe ich von einem Roman nur ein einziges Mal, und das war Twelfthnight, die zählt nicht. Heute früh sind Hatti und Ararat natürlich noch die gleichen und nicht über Nacht von ihren Fehlern befreit worden. Aber sie sitzen noch immer hier bei mir, was ihren Vorgängern nicht vergönnt war. Die habe ich in dieser Phase immer angebellt, sie sollen mir gefälligst vom Hals bleiben.
Die sind anders, die zwei. Die sind stur. Und sie legen dabei eine Ruhe an den Tag, die unmöglich von mir sein kann.