Schieflage

In der Biographie von Elfriede Lohse-Wächtler, die ich lese (Regine Sondermann: „Kunst ohne Kompromiss“) , steht: „Frieda weiß nicht, was ihre Hand vorhat. Die Hand setzt Linie an Linie und Punkt an Punkt, folgt einem Befehl aus dem Kopf und tut doch, was sie will.“ Und: „Das Fahrrad im Hof kann doch nicht mir nichts dir nichts so stehen bleiben, ohne dass jemand es abzeichnet, Speiche für Speiche.“ Und schließlich: „Bliebe die Speiche schief, würde die ganze Frieda immer schiefer.“
Es ist mir grundsätzlich peinlich, wenn ich vor solchen Sätzen in Künstler-Biographien stocke und etwas von mir zu erkennen glaube, weil mir das vorkommt, als vergliche ich mich mit einem Künstler. Das habe ich nie getan. Ein Künstler ist für mich einer, der ein Kunstwerk produziert, und was – in der Literatur – ein Kunstwerk ist, hat mir am überzeugendsten, grellsten und knappsten Raoul Schuster erklärt (früher, als wir noch nen Kaiser hatten): „Stimmt das, was der Autor gewollt hat, mit dem, was der Autor erreicht hat, überein, liegt ein Kunstwerk vor.“ Das trifft nicht auf mich. So einfach ist das.
Trotzdem fasst mich das, was Regine Sondermann über Elfriede Lohse-Wächtler schreibt, an, weil sich derzeit mein Leben so anfühlt. Ich ziehe mit meinen Ararat-Kladden umher, die ich nicht einmal mehr in den Rucksack stecke, weil ich nie weiß, was meine Hand vorhat, und ständig etwas abzeichnen muss, Speiche für Speiche. Ich fühle mich seit Monaten so schief, dass ich schon glaube, beim Laufen seitlich auf und ab zu schwanken, weil ich nicht alle Zeit der Welt stehle, um Ararats Speichen, bis sie gerade sind, zu zeichnen, sondern stattdessen ein wandelnder Kompromiss mit schiefen Speichen bin. Bisher habe ich mich bei jeder Unze Zeit, die ich meiner Arbeitszeit abgezogen habe, wie ein Verräter an meiner Familie gefühlt, weil jede Unze Zeit sich in etwas umrechnen lässt, das meine Familie sich deshalb nicht leisten kann. Jetzt knirscht es in meinem Gebälk und gibt mir zu spüren, dass die ständigen Kompromisse auch eine Art von Verrat sind. Wie ich damit weitergehe, mächtig schief und doch aufrechter als vorher, weiß ich noch nicht. Aber mich freut, dass ich noch nicht zu stumpf bin, um am Schieflaufen ins Stolpern zu geraten.