Kennt mich noch einer?
Ich bin ganz kleinlaut. Aber diesmal bin ich wirklich hier, um zu bleiben. Und um zu tun, wofür ich den Blog einmal angeschafft habe: Meinem Roman beim Wachsen zuzuschauen und vor mich hin zu erzählen, was uns dabei so an den Hirnen vorbeischwimmt, meinem Roman und mir.
Inzwischen ist uns ziemlich viel passiert.
Wir haben unser Leben in hundertdreißig Kisten verpackt und unser Haus verlassen. „Andere Leute machen das auch“, hatte mein Mann beteuert. Dass wir es machen könnten, einfach in ein neues Haus spazieren und behaupten, das sei jetzt unseres, erschien mir trotzdem völlig unmöglich. Das Haus waren wir. Gemacht haben wir es aber doch. Die Kisten sind leer, die Bücher stehen alle wieder an Wänden, und wir leben immer noch. Und finden uns sogar allmählich wieder.
Die permanente finanzielle Katastrophe verbunden mit der Besessenheit, mir trotzdem einen Roman zu leisten, von dem ich fand, ich müsse ihn schreiben, haben mich – in etlichen Nachtschichten – erstmals gelehrt, wo meine gesundheitlichen Grenzen sind. Daran laboriere ich jetzt mit noch offenem Ausgang. Mich weiter durch Nächte schleppend und um unsere Existenz kämpfend. Aber zuweilen, nie frei von Argwohn, auf einen Lichtblick hoffend. Eine Atempause. Ein Stück Stille mit meinem Roman.
In dem Land, in dem ich in diesem Winter staunen, mich berauschen und arbeiten wollte, ist Krieg. Wann der aufhört, ist fraglich. Und was dann von dem Land noch übrig ist, erst recht. Ich kann mich nicht erinnern, wann mich zuletzt etwas so traurig gemacht hat, so hilflos, so ohne Begreifen. Etwas tun würd‘ ich gern. Wenn das möglich wird, schreib ich’s hier auf. Bis dahin kann ich an das Land zwischen den zwei Flüssen nur denken. Das nützt dem Land nichts. Aber ich tu’s trotzdem.
Tja.
Und dann hab ich noch den Roman.
Selbst einen geliebten Roman kann man ja nicht ständig nur lieben, sondern muss ihn auch schreiben. Muss stinknormale dramaturgische Entscheidungen treffen, muss stinknormal erleben, wie man stinknormal scheitert, wie die Sprache auf dem kleinen Weg zwischen Stirnoberfläche und Papieroberfläche sich stinknormal das Rückgrat bricht. Dabei hat sich’s bei mir dann in der Vergangenheit immer ausgeliebt und ist stinknormal geworden. Aus dem auf die Füße (ach nee, das ist ja schon wieder Ararat) geküssten Lieblingsprojekt wurde das Zeugl, das ich hier eben schreibsel und das meistens nicht ganz, manchmal noch weniger und allzu oft gar nicht gelingt. Lieben – zwischen schönen Männern, vor Leben berstenden Kindern, Rosetta-Steinen, Ishtar-Toren und ersehnten Ländern im Krieg – konnt‘ ich Romane von anderen. Aber nicht meine.
Als ich angefangen habe, meinen Berg-Roman aus meinen Armen und durch meine Bleistiftspitze auf mein Papier zu lassen, war mir klar, dass mir das wieder passieren könnte. Ich habe damit gerechnet. Und versucht, mir einzureden, dass das keine Tragödie ist. Ob’s eine gewesen wäre, kann ich jetzt gar nicht mehr feststellen, denn es ist nicht passiert. Ich lieb ihn immer noch. Ich mache stinknormal Müll mit ihm, aber ich fühl mich nicht stinknormal, sondern immer noch glücklich. Und manchmal frag ich mich, ob ich auf meine alten Tage wohl noch lerne, was Treue ist.
Und was mach ich dann?
Zehn Bände schreiben?
Nein, denn das wäre nicht treu, sondern besitzergreifend (ich wette, ich hab irgendwann mal behauptet, das sei dasselbe …). Wenn er mit mir fertig ist, darf er gehen. Das tut er nämlich sowieso. Zum biederen Ehemann taugt er nicht, sondern ist ein Flirt. Zärtlich und zerstreut. Flatternde Wimpern, flatterndes Herz. Mach dir keine Sorgen, Schöner. Lauf weiter. Wenn du gehst, dann wink ich dir, auch wenn ich weiß, dass du im Grunde schon weg bist und den Kopf nicht drehst.
Ach ja. Verkauft hab ich ihn in der Zwischenzeit. Ob das gut geht, werden wir mal sehen, aber es schien mir für ihn die richtige Entscheidung. Ich möcht‘ ihn in Papier. Ich möcht‘ ihn in den Händen der grandiosen Lektorin, die ich mir nicht hätte leisten können. Ich möcht ihn so schön präsentiert wie seine Schwester, die hier schon fast an der Tür steht. Ich möchte mehr für ihn, als ich ihm hätte geben können. Dass ich ihm auch etwas hätte geben können, was ihm sonst keiner gibt, steht seltsamerweise außer Frage. Aber „ein bisschen Schwund ist immer“. Und vor allem wollte ich das für ihn: einen gesicherten Weg. Eine Tür zur Welt.
