Für den Begriff ‚Primo Uomo‘ habe ich mich jetzt mal entschieden, weil das nach ‚Di quella pira‘ klingt und nicht diese unsägliche Unsexyness verbreitet wie beispielsweise ‚mein männlicher Hauptdarsteller‘. Als bestünde der geringste Zweifel daran, dass mein Primo uomo männlichen Geschlechtes sei. Es besteht keiner. Ich bin seit geschlagenen sieben Monaten in ihn verliebt, was bei einer, die mit kurz vor fünfzig noch immer ‚Treu sein, das liegt mir nicht‘ pfeift, einen höchst einsamen Rekord darstellt. ‘Mein außerordentlich/eklatant/zum Bäume Ausreißen männlicher Hauptdarsteller’ ginge womöglich, aber nach Deutschunterricht klingt’s immer noch, und wenn ich „Haupt“ schon höre, schrillt mir die absurde Konstruktion „Hauptprotagonist“ in den Ohren – weshalb übrigens „mein Protagonist‘ auch flach fällt. Die Krone der Übelkeit aber erregt ‚love interest‘. He is no love interest. He is mine! (Und auf das Gemecker von der Carmen geb ich gar nichts. Wenn hier heut‘ der Sonntagabendbesuch zum Lavash-Essen einrückt, hat MEIN ROMAN ARARAT ein Exposé. Was geht mich DEIN ROMAN HATTUŠA an? Es sei denn, du möchtest teilen …)
Also beschlossen. Mein Primo Uomo.
Mein Primo Uomo ist ein Problem. Und Probleme, hat hier gerade jemand behauptet, sind Lösungen im Wartestand. Mein Primo Uomo ist vornehmlich ein Problem, weil er – durch Verletzung – auf einem Ohr taub ist und daher keine RAF-Maschine fliegen darf. Ich habe den RAF-Experten beheult, bebettelt, bekniet. Nix zu machen. Er darf nicht. Dass er an Anorexie leidet und ein Jahr über der Altersgrenze liegt, lässt sich knapp acht Monate vor Kriegsausbruch und in der allgemeinen Keine-schlagfähige-Luftwaffe-Panik zur Not unter den Tisch kehren, aber ein taubes Ohr nicht. Gar nicht. Kein Verhandlungsspielraum. Kein Wenn und kein Aber.
Ich habe mich dieser eiskalten Abfuhr gegenüber gefühlt wie mein Enkel (2), der sich in solchen Situationen auf den Boden wirft und der störrischen Welt seine Fäuste verpasst. Traditionell wollen liebende Frauen dem Objekt der Begierde diese Welt ja zu Füßen legen, und ich war in höchster Versuchung, die zu packen und zurechtzubiegen, damit sie meinem Schönen passt. Wen kratzt schließlich, wer vor sechsundsiebzig Jahren in Großbritannien zur Kampfpilotenausbildung zugelassen wurde und wer nicht? Erzähl ich eine Geschichte, die mich seit Wochen allnächtlich seufzen, nach Atem schnappen und mit den Beinen zappeln lässt, oder schreib ich den Besinnungsaufsatz „Warum ich Gutes tun und Böses lassen soll“ in Klassenstufe Neun?
Die Maschine, die ich mit Hilfe des RAF-Experten, der letztendlich alles versaut hat, und meines Sohnes für ihn ausgesucht hatte, heißt Hawker Hurricane. An meinem schönen Primo Uomo auf einer Hawker Hurricane habe ich mich wochenlang hochgezogen (ich bin im hormongeplagten Alter! Ich bin entschuldigt). Die wollt‘ ich ihm und mir nicht nehmen lassen. Und ganz nebenbei wäre mir ohne Hawker Hurricane auch noch das bescheidene Kollateralproblem geblieben, den schönen Mann in Kriegszeiten von London, England, nach Van, Türkei, zu bekommen, wenn der seine Hawker Hurricane nicht fliegen darf.
Mach ich nicht. So basta bäh. Lieber werf ich mich auf den Boden, hau mir die Fäuste kaputt und halt die Hawker Hurricane mit den Überresten meiner Zähne fest.
Dachte ich. Bis mir einer dieser im Roman nicht glaubhaften Zufälle einen tatsächlichen Menschen vor die Füße schubste, dem genau das passiert ist. Nicht 1938. Aber 2012. Auf einem Ohr taub. Nach Verletzung. Von der RAF nicht tauglich gestempelt. Nachdem der mir erzählt hat, wie sich das anfühlt, solche Maschine, die man aus guten Gründen unbedingt fliegen will, de facto nicht fliegen zu können, weil man selbst keine vollständige und ersatzteilgesicherte Maschine mehr ist, sondern einen Gleichgewichtssinn hat, der verrückt spielt, ist mir klargeworden, dass nicht mein Primo Uomo das Problem ist, sondern sein Autor. Ich. In Neu-Schreibschulen-Deutsch nennt man sowas, glaube ich, einen typischen Fall von Heldenschonung. Und damit nimmt man sich das große Drama, das man inszenieren wollte, selbst.
Den Schlag ins Gesicht wollt‘ ich ihm auf gar keinen Fall verabreichen. Schon bei der Vorstellung zog sich mein Innerstes zusammen, und meiner Kehle entrang sich ein gequältes Winseln. Aber der Jammerlappen bin ich, nicht er, der solche Randwidrigkeiten nonchalant auf einer Schulter wegzuckt. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber bei mir selbst könnte ich es allmählich wissen: Habe ich ein technisches Problem, das sich als unlösbar erweist, kann ich fast sicher sein, dass es in Wahrheit ein dramaturgisches ist.
Übrig blieb mir, wie gesagt, das kollaterale Transportproblem. Doch nach einer mit Mann und Kind über Landkarten und Schiffsrouten verbrachten halben Nacht, hat mir mein Primo Uomo heute früh beim Laufen – noch nonchalanter – erklärt, das übernehme er. Der Mann ist ein Segen. Er ist nicht nur viel zu aufregend, um ‚mein männlicher Hauptprotagonistendarsteller‘ zu sein, sondern vor allem vielseitigst einsetzbar. Er hat nicht nur ein taubes Ohr. Kleptomanie hat er auch.
Let’s go Hawker Hurricaning.
Selbst mit kurz vor fünfzig fasziniert es mich noch, dass man zuweilen bekommt, was man will, auch ohne sich auf Pflasterstein die Fäuste kaputtzuhauen.
Ach und übrigens: Wir haben dann jetzt wohl ein Salatbeet. Einen Roman mit Exposé.
Hach.
Du sagst es …
hm … ich bekomme Leberwurst-Wildschwein Sehnsucht …
Zum Glueck. Dann bin ich damit nicht so alleine.
Damit bist Du ganz und gar nicht alleine … aber Du musst teilen 🙂
Ich verspreche, ich teile – wenn ich armes Schweinlein denn der Eigentuemer der Rechte bin und teilen darf …
Das wird … ich bin zuversichtlich … und drücke die Daumen …
Schön dass das Exposé fertig ist … ich freu mich